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Psychedelic Odin
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Psychedelic Odin
Styler Ornament

Fragmente zum Konzept

Styler Ornament

Als ich letz­tes Jahr damit begann, län­ge­re Tex­te zu ver­fas­sen, stand ich zu schnell vor dem Pro­blem, dafür Ver­öf­fent­li­chungs­mög­lich­kei­ten zu fin­den, da kei­ne der bestehen­den Sei­ten, bzw. Sicht­wei­sen näher mit der mei­ni­gen über­ein­stim­men woll­te. Para­do­xer­wei­se jedoch schien mir die Qua­li­tät die­ser Tex­te gera­de in die­ser Nicht-Über­ein­stim­mung, ihrem Zug hin zu wild­wüch­si­gen, lager- und ideo­lo­gie­quer­kreu­zen­den Ansät­zen und Gedan­ken­ver­bin­dun­gen zu lie­gen. Inso­fern erschien mir schließ­lich die Begrün­dung einer eige­nen Sei­te als folgerichtig. 

* * *

Stel­len wir die wage­mu­ti­ge The­se auf, daß das 20. Jahr­hun­dert der Schau­platz war, auf dem die Ideen des 19. Jahr­hun­derts sich bekämpf­ten, so liegt die Mut­ma­ßung nahe, daß das 21. Jahr­hun­dert der Schau­platz der Ideen des 20. Jahr­hun­derts sein wird. 

Brach­ten die Kon­flik­te des 19. Jahr­hun­derts die Posi­tio­nen Libe­ra­lis­mus, Sozia­lis­mus und Kon­ser­va­ti­vis­mus her­vor, so ent­stand aus die­sen Kon­flik­ten sowohl eine sich neu for­mie­ren­de Gesell­schaft als auch ein neu­es Den­ken, das sich bis heu­te der Codes und Scha­blo­nen des 19. Jahr­hun­derts nur noch bedient, um sei­ne Stand­punk­te zu arti­ku­lie­ren, und den­noch unter die­ser zuneh­mend zer­fal­len­den, ana­chro­nis­ti­schen Ver­klei­dung gänz­lich neue Kon­flik­te ver­han­delt.
Eini­ge die­ser Kon­flik­te könn­ten bei­spiels­wei­se lauten:

Glo­ba­lis­mus vs. Regio­na­lis­mus
Pri­mat der Poli­tik vs. Pri­mat der Wirt­schaft
Uni­ver­sa­lis­mus vs. Kul­tu­ra­lis­mus
Ver­bind­li­che Wer­te vs. Indi­vi­du­el­le Frei­heit
Natur­wis­sen­schaft vs. Geis­tes­wis­sen­schaft
Stadt vs. Land
Die Neo-Klas­se der Wäh­ler vs. die Neo-Eli­ten der Poli­ti­ker und Journalisten

Tex­te für alle und kei­nen: in einer wage­mu­ti­gen Ana­lo­gie könn­ten wir die Figur des nietz­schea­ni­schen Über­men­schen, als Über­win­dung des jet­zi­gen Men­schen auf­ge­fasst, auch auf die­se geschicht­li­che Kon­stel­la­ti­on anwen­den. Das 20. Jahr­hun­dert mit den Posi­tio­nen des 19. Jahr­hun­dert muss über­wun­den wer­den, um auf Basis der Posi­tio­nen des 20. Jahr­hun­derts das Den­ken des 21. Jahr­hun­derts über­haupt erst ein­mal zu gene­rie­ren. Tex­te für alle, ganz unab­hän­gig von der Posi­ti­on. Tex­te für kei­nen, da nie­man­des Ideo­lo­gie durch schmeich­le­ri­sche Wie­der­ho­lung des bereits tau­send­fach Wie­der­hol­ten zu einem wei­te­ren hun­dert­jäh­ri­gen Dorn­rös­chen­schaft ani­miert wer­den soll. Tex­te, deren Qua­li­tät gera­de dar­in bestehen soll, Quer­ver­bin­dun­gen, Öff­nun­gen, Ris­se auf­zu­spü­ren und zu ver­mes­sen, statt einem der bestehen­den, ver­greis­ten Stäm­me Tri­bu­te zu leis­ten. Wie die Ideo­lo­gien des 19. Jahr­hun­derts den christ­li­chen Gott getö­tet haben, so scheint es nun an der Zeit, auch den Tod des Got­tes der Libe­ra­len, der Sozia­lis­ten und der Kon­ser­va­ti­ven zu ver­kün­den. Eure Frei­heit ist tot, eure Gleich­heit ist tot, eure Brü­der­lich­keit ist tot. Der psy­che­de­li­sche Odin beginnt zu tanzen. 

“Und mag doch alles zer­bre­chen, was an unse­ren Wahr­hei­ten zer­bre­chen — kann! Man­ches Haus gie­bt es noch zu bau­en!” (Nietz­sche, Also sprach Zarathustra)

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Was ich beob­ach­te im gesam­ten kon­ser­va­ti­ven bis rech­ten publi­zis­ti­schem Spek­trum, ist eine unge­mein ein­sei­ti­ge, agi­ta­to­ri­sche Aus­rich­tung, die jeweils bereits zufrie­den im Saft des eige­nen Welt­bil­des schmort und die­ses ledig­lich nur noch mög­lichst zu popu­la­ri­sie­ren sucht. Das mag aktu­ell teil­wei­se den Umstän­den geschul­det sein, die Grenz­öff­nung 2015 als Bra­chi­al­fa­nal links­grü­ner Gesell­schafts-Trans­for­ma­ti­ons-Uto­pien ver­lei­tet weni­ger zu lei­den­schaft­li­chen inter­nen Debat­ten oder zur ruhi­gen Gene­se theo­re­ti­scher Grund­la­gen­wer­ke als viel­mehr zur prak­ti­schen poli­ti­schen Arbeit, weni­ger zur Begriffs­schär­fe als viel­mehr zu prag­ma­ti­schen, in der Sache groß­zü­gi­gen Schul­ter­schlüs­sen ver­schie­dens­ter Strö­mun­gen und Köpfe.

Den­noch aber ist nur schwer ver­kenn­bar, daß das rechts­kon­ser­va­ti­ve Spek­trum gera­de dort, wo es im Bruch mit dem trans­at­lan­tisch ori­en­tier­ten Libe­ral­kon­ser­va­tis­mus wie­der auf die geschicht­lich mitt­ler­wei­le ver­schüt­te­ten Lini­en euro­päi­schen Den­kens anzu­schlie­ßen wünscht, von einer selt­sa­men Rat­lo­sig­keit befal­len ist. Denn wäh­rend die Rech­te in den Nach­kriegs­jahr­zehn­ten in einer aus den Paläs­ten des Den­kens ver­jag­te Par­ti­sa­nen­exis­tenz kul­ti­vier­te, sich durch grim­mi­gen Wider­stands­wil­len und gif­ti­ge Pole­mik aus­zeich­ne­te, ver­fiel sie dabei doch viel­fach intel­lek­tu­ell einer wald­gän­gern­den Ver­wahr­lo­sung, wäh­rend das den Wes­ten für­der­hin prä­gen­de Den­ken, zumeist unter eher links ori­en­tier­ten Prä­mis­sen, sich so ste­tig wie bedeu­tend bis heu­te wei­ter­ent­wi­ckelt. Und mit dem Den­ken die Gesell­schaft, und mit der Gesell­schaft die Pro­ble­me, die das Den­ken beschäf­ti­gen. Ganz zu schwei­gen vom erst seit weni­gen Jahr­zehn­ten sich ent­wi­ckeln­den Phä­no­men der “Glo­ba­li­sie­rung”, die auf ver­schie­dens­ten Ebe­nen, das zumin­dest muss ein ers­ter Befund sein, zu einem grund­le­gen­den Neu­den­ken, Neu­jus­tie­ren und Infra­ge­stel­len aus­nahms­los aller welt­an­schau­li­chen Strö­mun­gen zwingt. 

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Der Wald­gän­ger benö­tigt Mut, Durch­hal­te­ver­mö­gen und aus­rei­chend Humor, um sein aus­sichts­lo­ses Par­ti­sa­nen­tum ertra­gen zu kön­nen. Sei­ne Exis­tenz­form ist eine wider­stän­di­ge, bewah­ren­de, doch kei­ne schöp­fe­ri­sche, denn das Leben im Wald ist res­sour­cen­rau­bend, allei­ne das Errich­ten einer eige­nen, klei­nen Hüt­te, sie ein­zu­rich­ten, win­ter­fest zu machen und gegen die Unbill eines anbran­den­den, feind­se­li­gen, kräf­te­mä­ßig weit über­le­ge­nen Urwal­des zu bewah­ren, nimmt gemein­hin den größ­ten Teil sei­ner Ener­gie in Anspruch. Eine Hand­voll wert­vol­ler Bän­de hat er aus dem Unter­gang sei­ner Welt geret­tet, sie ste­hen seit Jahr­zehn­ten auf einem rohen, selbst­ge­zim­mer­ten Regal neben dem Ess­tisch. Statt sie zu stu­die­ren, liest er nur noch manch­mal abends oder am Sonn­tag zur Erho­lung und Erbau­ung dar­in wie in einem Gebetbuch. 

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Der Wald­gän­ger ist eine Figur, die sich aus der Kon­tel­la­ti­on einer Nie­der­la­ge ergibt, und mög­li­cher­wei­se ist er zu nicht mehr imstan­de als die Nie­der­la­ge fort­wäh­rend geis­tig zu repro­du­zie­ren, um sich selbst als Figur wei­ter zu erhalten.

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Wie die­se Sei­ten nicht ver­stan­den wer­den soll­ten: im all­zu wört­li­chen Sinn des Titels. Weder Expe­ri­men­te mit Hal­lu­zi­no­ge­nen noch das ger­ma­ni­sche Hei­den­tum wer­den hier eine maß­geb­li­che Rol­le spie­len. Was selbst­ver­ständ­lich nicht bedeu­tet, daß ich irgend­je­man­den davon abhal­ten will, im Rah­men eines bar­ba­ri­schen, ata­vis­ti­schen Ritu­als Flie­gen­pil­ze zu essen und dann nackt in den Wald zu lau­fen um mit Bären zu rin­gen und den Kon­takt mit dem Geist sei­ner Vor­fah­ren aufzunehmen. 

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Der Name Odins soll Sym­bol sein für Euro­pa — nicht das bra­ve, domes­ti­zier­te von Moral und Uni­ver­sa­lis­mus auf­ge­la­de­ne, müde Euro­pa der Gegen­wart, wie es sich im Zuge von Chris­ten­tum und Moder­ne ent­wi­ckelt hat, son­dern ein so ver­schüt­te­tes wie ewi­ges Euro­pa, ein wild­wüch­si­ges, chao­ti­sches Euro­pa, wor­in jeden Tag noch eine neue Welt gebo­ren wer­den kann. (“Wider den letz­ten Men­schen” flüs­te­re ich ver­we­gen in das ewi­ge, kal­te Schwei­gen der Glas­fa­ser­ka­bel hinaus.)

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“Psy­che­de­lic Odin” ist der Titel eines Lie­des von Juli­an Cope. Für ein Euro­pa, in dem wir uns auf kel­ti­schen Hügel­grä­bern und den Über­res­ten mega­li­thi­scher Kult­stät­ten ver­sam­meln, um rare Krautrock­plat­ten aufzulegen.

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Posted on 22. Januar 202017. März 2020

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