Als ich letztes Jahr damit begann, längere Texte zu verfassen, stand ich zu schnell vor dem Problem, dafür Veröffentlichungsmöglichkeiten zu finden, da keine der bestehenden Seiten, bzw. Sichtweisen näher mit der meinigen übereinstimmen wollte. Paradoxerweise jedoch schien mir die Qualität dieser Texte gerade in dieser Nicht-Übereinstimmung, ihrem Zug hin zu wildwüchsigen, lager- und ideologiequerkreuzenden Ansätzen und Gedankenverbindungen zu liegen. Insofern erschien mir schließlich die Begründung einer eigenen Seite als folgerichtig.
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Stellen wir die wagemutige These auf, daß das 20. Jahrhundert der Schauplatz war, auf dem die Ideen des 19. Jahrhunderts sich bekämpften, so liegt die Mutmaßung nahe, daß das 21. Jahrhundert der Schauplatz der Ideen des 20. Jahrhunderts sein wird.
Brachten die Konflikte des 19. Jahrhunderts die Positionen Liberalismus, Sozialismus und Konservativismus hervor, so entstand aus diesen Konflikten sowohl eine sich neu formierende Gesellschaft als auch ein neues Denken, das sich bis heute der Codes und Schablonen des 19. Jahrhunderts nur noch bedient, um seine Standpunkte zu artikulieren, und dennoch unter dieser zunehmend zerfallenden, anachronistischen Verkleidung gänzlich neue Konflikte verhandelt.
Einige dieser Konflikte könnten beispielsweise lauten:
Globalismus vs. Regionalismus
Primat der Politik vs. Primat der Wirtschaft
Universalismus vs. Kulturalismus
Verbindliche Werte vs. Individuelle Freiheit
Naturwissenschaft vs. Geisteswissenschaft
Stadt vs. Land
Die Neo-Klasse der Wähler vs. die Neo-Eliten der Politiker und Journalisten
Texte für alle und keinen: in einer wagemutigen Analogie könnten wir die Figur des nietzscheanischen Übermenschen, als Überwindung des jetzigen Menschen aufgefasst, auch auf diese geschichtliche Konstellation anwenden. Das 20. Jahrhundert mit den Positionen des 19. Jahrhundert muss überwunden werden, um auf Basis der Positionen des 20. Jahrhunderts das Denken des 21. Jahrhunderts überhaupt erst einmal zu generieren. Texte für alle, ganz unabhängig von der Position. Texte für keinen, da niemandes Ideologie durch schmeichlerische Wiederholung des bereits tausendfach Wiederholten zu einem weiteren hundertjährigen Dornröschenschaft animiert werden soll. Texte, deren Qualität gerade darin bestehen soll, Querverbindungen, Öffnungen, Risse aufzuspüren und zu vermessen, statt einem der bestehenden, vergreisten Stämme Tribute zu leisten. Wie die Ideologien des 19. Jahrhunderts den christlichen Gott getötet haben, so scheint es nun an der Zeit, auch den Tod des Gottes der Liberalen, der Sozialisten und der Konservativen zu verkünden. Eure Freiheit ist tot, eure Gleichheit ist tot, eure Brüderlichkeit ist tot. Der psychedelische Odin beginnt zu tanzen.
“Und mag doch alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen — kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen!” (Nietzsche, Also sprach Zarathustra)
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Was ich beobachte im gesamten konservativen bis rechten publizistischem Spektrum, ist eine ungemein einseitige, agitatorische Ausrichtung, die jeweils bereits zufrieden im Saft des eigenen Weltbildes schmort und dieses lediglich nur noch möglichst zu popularisieren sucht. Das mag aktuell teilweise den Umständen geschuldet sein, die Grenzöffnung 2015 als Brachialfanal linksgrüner Gesellschafts-Transformations-Utopien verleitet weniger zu leidenschaftlichen internen Debatten oder zur ruhigen Genese theoretischer Grundlagenwerke als vielmehr zur praktischen politischen Arbeit, weniger zur Begriffsschärfe als vielmehr zu pragmatischen, in der Sache großzügigen Schulterschlüssen verschiedenster Strömungen und Köpfe.
Dennoch aber ist nur schwer verkennbar, daß das rechtskonservative Spektrum gerade dort, wo es im Bruch mit dem transatlantisch orientierten Liberalkonservatismus wieder auf die geschichtlich mittlerweile verschütteten Linien europäischen Denkens anzuschließen wünscht, von einer seltsamen Ratlosigkeit befallen ist. Denn während die Rechte in den Nachkriegsjahrzehnten in einer aus den Palästen des Denkens verjagte Partisanenexistenz kultivierte, sich durch grimmigen Widerstandswillen und giftige Polemik auszeichnete, verfiel sie dabei doch vielfach intellektuell einer waldgängernden Verwahrlosung, während das den Westen fürderhin prägende Denken, zumeist unter eher links orientierten Prämissen, sich so stetig wie bedeutend bis heute weiterentwickelt. Und mit dem Denken die Gesellschaft, und mit der Gesellschaft die Probleme, die das Denken beschäftigen. Ganz zu schweigen vom erst seit wenigen Jahrzehnten sich entwickelnden Phänomen der “Globalisierung”, die auf verschiedensten Ebenen, das zumindest muss ein erster Befund sein, zu einem grundlegenden Neudenken, Neujustieren und Infragestellen ausnahmslos aller weltanschaulichen Strömungen zwingt.
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Der Waldgänger ist eine Figur, die sich aus der Kontellation einer Niederlage ergibt, und möglicherweise ist er zu nicht mehr imstande als die Niederlage fortwährend geistig zu reproduzieren, um sich selbst als Figur weiter zu erhalten.
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Wie diese Seiten nicht verstanden werden sollten: im allzu wörtlichen Sinn des Titels. Weder Experimente mit Halluzinogenen noch das germanische Heidentum werden hier eine maßgebliche Rolle spielen. Was selbstverständlich nicht bedeutet, daß ich irgendjemanden davon abhalten will, im Rahmen eines barbarischen, atavistischen Rituals Fliegenpilze zu essen und dann nackt in den Wald zu laufen um mit Bären zu ringen und den Kontakt mit dem Geist seiner Vorfahren aufzunehmen.
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“Psychedelic Odin” ist der Titel eines Liedes von Julian Cope. Für ein Europa, in dem wir uns auf keltischen Hügelgräbern und den Überresten megalithischer Kultstätten versammeln, um rare Krautrockplatten aufzulegen.