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Styler Ornament

Der Fall von Roger Hallam

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Inwie­fern äußert sich geleb­te Kul­tur? Ist, wie der Zeit­geist ger­ne pos­tu­liert, Kul­tur ledig­lich das ratio­na­le Bekennt­nis zu bestimm­ten, ver­nünf­ti­gen Wer­ten, zu einer bestimm­ten Ver­fas­sung? Oder exis­tie­ren viel­leicht doch tie­fe­re Strö­me, wor­in ledig­lich zwie­lich­ti­ge Meta­pho­rik von Ver­wur­ze­lung, Her­kunft und Geschich­te in ihrem roman­tisch-irra­tio­na­lis­ti­schem Rau­nen die zwar unzu­läng­li­che aber doch ein­zig mög­li­che Arti­ku­la­ti­ons­mög­lich­keit bil­det? Den­ken wir unse­re Kul­tur, oder denkt die Kul­tur als über­in­di­vi­du­el­le Dyna­mik manch­mal durch uns hindurch?

Einen bemer­kens­wer­ten Fall als Indiz für zwei­te­re The­se lie­fer­te im Novem­ber 2019 ein Inter­view von Roger Hallam, Mit­be­grün­der der Kli­ma­ret­tungs­grup­pe Extinc­tion Rebel­li­on. Die­ser, poli­tisch völ­lig unver­däch­tig, als radi­ka­ler Kli­ma­schüt­zer viel­mehr bis­lang so umschwärmt wie gefei­ert, erzeug­te einen Skan­dal, der bin­nen eines Tages sei­nen Ruf zumin­dest inner­halb Deutsch­land völ­lig zer­stör­te. Der Anlass: in einem Inter­view bestritt er offen­sicht­lich, daß der Holo­caust ein ein­ma­li­ges Ereig­nis gewe­sen wäre.

“Geno­zi­de, so der Kli­ma­ak­ti­vist, habe es in den ver­gan­ge­nen 500 Jah­ren immer wie­der gege­ben. ‘Um ehr­lich zu sein, könn­te man sagen: Das ist ein fast nor­ma­les Ereig­nis.’ Auch der Holo­caust sei für ihn ‘just ano­t­her fucke­ry in human histo­ry’, so Hallam – nur ein wei­te­rer Scheiß in der Menschheitsgeschichte.”

Dahin­ge­hend eine sach­li­che Hal­tung ein­zu­neh­men, ist durch­aus mög­lich. Es benö­tigt schät­zungs­wei­se nicht mehr als das Text­in­ter­pre­ta­ti­ons­ver­mö­gen eines 15jährigen Gym­na­si­as­ten, um den von Zeit Online gestreu­ten Frag­men­ten zu ent­neh­men, daß Hallam den Holo­caust nicht beschö­ni­gen oder ver­harm­lo­sen will, son­dern dar­auf hin­wei­sen, daß aus sei­ner Sicht Men­schen gera­de­zu regel­mäs­sig in der­ar­ti­ge Grau­sam­kei­ten ver­fal­len. Er ist kein Neo­na­zi, der “Aber die ande­ren haben doch auch…” jam­mert, um sich aus der Ver­ant­wor­tung zu steh­len, son­dern eher ein Mis­an­throp mit einem sehr nega­ti­ven Bild der mensch­li­chen Natur.

Das her­aus­zu­le­sen wäre im Prin­zip kei­ne Her­aus­for­de­rung, und den­noch, als “Rela­ti­vie­rung des Holo­caust” geframed, lösen Hallams Aus­sa­gen einen erst­ran­gi­gen Skan­dal quer durch die deut­sche Poli­tik- und Medi­en­land­schaft aus, der sich inner­halb eines Tages der­art hys­te­ri­siert und auf­schau­kelt, daß am Ende das Gesag­te zuneh­mend ver­schwin­det. Statt­des­sen tau­chen in einem anwach­sen­den Begriffs­rah­men, des­sen Asso­zia­ti­ons­ket­ten ihre eige­ne inne­re Dyna­mik zu besit­zen schei­nen, Anschul­di­gun­gen wie “rechts­ra­di­kal” oder gar “anti­se­mi­tisch” auf. “Wie­so plötz­lich die­ses anti­se­mi­ti­sche und rechts­ra­di­ka­le Framing, wenn es doch um Kli­ma­schutz geht?” fragt bei­spiels­wei­se Minis­ter­prä­si­dent Armin Laschet. FDP-MdB Hagen Rein­hold gar ist voll­kom­men ent­setzt: “Unglaub­lich! Anti­se­mi­tis­mus wird tag­täg­lich zu einem grö­ße­ren Pro­blem. Wir müs­sen jetzt alle kla­re Kan­te zei­gen!” Selbst die jugend­li­chen Akti­vis­ten von Extinc­tion Rebel­li­on Deutsch­land, die ihrem Vor­den­ker Hallam posi­tiv geson­nen sein dürf­ten, distan­zie­ren sich umge­hend: “Er ver­stößt damit gegen die Prin­zi­pi­en von XR, die Anti­se­mi­tis­mus nicht dul­den”. Eini­ge Stun­den spä­ter bereits ver­kün­det der Ull­stein Ver­lag, daß die Ver­öf­fent­li­chung von Hallams Buch zurück­zie­he, die Aus­lie­fe­rung des eigent­lich für die Fol­ge­wo­che geplan­ten Titels wer­de sofort gestoppt. Und auch die Tages­schau, die letz­te Instanz der deut­schen Medi­en­land­schaft, berich­tet schließ­lich: “Hallam ver­harm­lost Holo­caust”.

Wo eine Gesell­schaft inner­halb eines Tages kol­lek­tiv in gemein­schaft­li­che, hys­te­ri­sche Irra­tio­na­li­tät ver­fällt, liegt die Ver­mu­tung nahe, hier­in eine Dyna­mik, eine eige­ne Wirk­sam­keit auf sozio­kul­tu­rel­ler Ebe­ne zu ver­mu­ten. Beim Stich­wort “Holo­caust­re­la­ti­vie­rung” stößt man auf eine Debat­te, die vie­le Betei­lig­te, bei­spiels­wei­se die noch sehr jun­gen Extinc­tion Rebel­li­on Mit­glie­der, selbst gar nicht mit­er­lebt haben, viel­leicht nicht ein­mal ken­nen, näm­lich den His­to­ri­ker­streit von 1986. In einem Arti­kel warf damals der His­to­ri­ker Ernst Nol­te zum einen die Fra­ge auf, ob der Holo­caust viel­leicht teil­wei­se eine Reak­ti­on auf das Gulag­sys­tem der Sowjet­uni­on dar­stell­te, der “Ras­sen­krieg” Hit­lers als Idee damit nur eine Vari­an­te des “Klas­sen­kriegs” Sta­lin wäre. Und frag­te zum ande­ren, ob es nicht an der Zeit wäre, auch den Holo­caust zuneh­mend als his­to­ri­sches Phä­no­men behan­deln. Das ver­an­lass­te Jür­gen Haber­mas zu einer wüten­den Replik, wor­in er sol­che Über­le­gun­gen als revi­sio­nis­tisch und apo­lo­ge­tisch kri­ti­sier­te, was zu einer kon­tro­ver­sen Debat­te führ­te. Auch hier gäbe es eine sach­li­che Ebe­ne, denn es fällt auf, daß Nol­te als His­to­ri­ker argu­men­tiert, der geschicht­li­che Ereig­nis­se in Zusam­men­hän­ge zu brin­gen ver­sucht, Haber­mas dage­gen als Ethi­ker und Poli­ti­ker: für ihn spie­len weni­ger die geschicht­li­chen Zusam­men­hän­ge eine Rol­le als viel­mehr deren Wir­kung im Rah­men des Deu­tungs­kon­flik­tes zur deut­schen Nachkriegsidentität.

“Nun könn­te man die skur­ri­le Hin­ter­grund­phi­lo­so­phie eines bedeu­tend-exzen­tri­schen Geis­tes auf sich beru­hen las­sen, wenn nicht neo­kon­ser­va­ti­ve Zeit­his­to­ri­ker sich bemü­ßigt fühl­ten, sich genau die­ser Spiel­art von Revi­sio­nis­mus zu bedie­nen.” schreibt er über Nol­te, und schließt sei­nen Text mit: “Eine in Über­zeu­gun­gen ver­an­ker­te Bin­dung an uni­ver­sa­lis­ti­sche Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en hat sich lei­der in der Kul­tur­na­ti­on der Deut­schen erst nach und durch Ausch­witz bil­den kön­nen. Wer uns mit einer Flos­kel wie »Schuld­be­ses­sen­heit« (Stür­mer und Oppen­hei­mer) die Scham­rö­te über die­ses Fak­tum aus­trei­ben will, wer die Deut­schen zu einer kon­ven­tio­nel­len Form ihrer natio­na­len Iden­ti­tät zurück­ru­fen will, zer­stört die ein­zi­ge ver­läß­li­che Basis unse­rer Bin­dung an den Westen.”

Haber­mas’ Ableh­nung ist sicher nicht unbe­rech­tigt, da in der Nach­krieg­zeit zwei­fel­los ein brei­tes alt­kon­ser­va­ti­ves Milieu exis­tier­te, das nur zu ger­ne über Ver­bre­chen des Drit­ten Reichs den Man­tel der Ver­ges­sens gehüllt hät­te, um, unter Aus­blen­dung aller Abgrün­de, wei­ter­hin einer unbe­schwer­ten Deutsch­tü­me­lei zu fröh­nen. Ande­rer­seits jedoch sagt er unter dem Strich: da nur die Scha­mes­rö­te den geschicht­lich chro­nisch demo­kra­tie­fer­nen Deut­schen zur Über­nah­me einer uni­ver­sa­lis­ti­schen Wer­te­ord­nung bewe­gen konn­te, ist das emo­tio­na­le Trau­ma Holo­caust viel wich­ti­ger als mög­li­che geschicht­li­che Zusam­men­hän­ge. Denn umso stär­ker uns der Holo­caust belas­tet, des­to bes­se­re Demo­kra­ten sind wir.

Was hier zuerst auf­fällt, ist, daß Haber­mas iro­ni­scher­wei­se ganz inner­halb eth­no­kul­tu­rel­ler Mus­ter argu­men­tiert. Es will bei­na­he schei­nen, als wür­de Haber­mas den Deut­schen eine gene­ti­sche Dis­po­si­ti­on zur Dik­ta­tur beschei­ni­gen, die nur mit bra­chi­als­ter Ein­schüch­te­rung in Zaum gehal­ten wer­den kön­ne. Wäh­rend er das, wor­auf die uni­ver­sa­lis­tisch-west­li­che Wer­te­ord­nung sich grün­det, näm­lich das Pri­mat der Indi­vi­dua­li­tät vor der Grup­pe und die Annah­me der Ver­nunft­fä­hig­keit des Men­schen, “den” Deut­schen damit kol­lek­tiv abspricht. Haber­mas will die Auf­klä­rung in Deutsch­land ein­füh­ren, und erklärt sie gleich­zei­tig für gescheitert.

Dar­über­hin­aus legen sich hier in der Bewer­tung zwei Ebe­nen über­ein­an­der. Wo für Nol­te die “Sin­gu­la­ri­tät” des Holo­caust noch ein wis­sen­schaft­li­cher Begriff ist, die inner­halb ratio­nal defi­nier­ter Para­me­ter ent­we­der fest­ge­stellt oder ver­wor­fen wer­den kann, was Moti­va­ti­on, was Mit­tel, was Opfer­zah­len usw. betrifft, so wächst sich für Haber­mas die “Sin­gu­la­ri­tät” zur ethi­schen For­de­rung und damit gera­de­zu zum reli­giö­sen Begriff aus, zum Grün­dungs­my­thos einer umfas­sen­den, neu­en Welt- und Wer­te­ord­nung, die nicht durch ihre nach­voll­zieh­ba­re Rich­tig­keit, son­dern durch über­wäl­ti­gen­de, emo­tio­na­le Kraft die Rea­li­tät, die Men­ta­li­tät der Deut­schen tran­szen­die­ren und völ­lig neu aus­rich­ten soll.

Die dar­in schlum­mern­de Para­do­xie bringt eine Sym­bol­fi­gur von Mer­kel-Deutsch­land, Außen­mi­nis­ter Hei­ko Maas, in sei­nem Tweet zum The­ma wun­der­bar unbe­wusst auf den Punkt.

“Der #Holo­caust ist mehr als Mil­lio­nen Tote und grau­sa­me Fol­ter­me­tho­den. Jüdin­nen und Juden indus­tri­ell zu ermor­den und aus­rot­ten zu wol­len, ist ein­zig­ar­tig unmensch­lich. Das muss uns immer bewusst sein, damit wir sicher­stel­len: nie wieder!”

Logisch betrach­tet ist die­se Aus­sa­ge selbst­wi­der­sprüch­lich. Sofern der Holo­caust näm­lich “ein­zig­ar­tig” wäre, bestün­de auch kei­ne Gefahr einer Wie­der­ho­lung. Aus der Sicht eines Gläu­bi­gen dage­gen ist er ein­leuch­tend: nur indem der Holo­caust als ein­zig­ar­ti­ger Zivi­li­sa­ti­ons­bruch sei­ne Sym­bol­kraft bewahrt, kann er unse­re Wer­te­ord­nung sta­bi­li­sie­ren. Aller­dings haben Haber­mas und sei­ne Unter­stüt­zer mit der Zuschrei­bung einer Nicht-Ver­gleich­bar­keit einen neu­en Mythos geschaf­fen, der hier im Sin­ne reli­gi­ons­wis­sen­schaft­li­cher Ansät­ze als “Tabu” dem Bereich des Ratio­na­len, des Dis­kur­ses, der Aus­ein­an­der­set­zung ent­zo­gen wird. Nur daß nicht Gott sich dies­mal dem Ver­gleich­ba­ren ent­zieht, son­dern der Holo­caust, nur daß mit der Blas­phe­mie des Ver­glei­ches dies­mal nicht die Offen­ba­rung hin­ter­fragt wird, son­dern das Bekennt­nis zur west­li­chen Wertegemeinschaft.

In den nächs­ten Jahr­zehn­ten wur­de der Kern des deut­schen Selbst­ver­ständ­nis­ses dadurch nach­hal­tig geprägt, und hat sich als Denk­fi­gur offen­kun­dig der­art tief ins All­ge­mein­be­wusst­sein hin­ein­ge­gra­ben, daß nun ein fal­scher Satz reicht, um in einem Affekt kol­lek­ti­ven Ent­set­zens, kol­lek­ti­ver Abwehr, die weder indi­vi­du­ell-plu­ra­le Posi­tio­nie­rung noch ratio­na­le Aus­ein­an­der­set­zung mehr erken­nen lässt, einen gan­zen Kos­mos von Asso­zia­tio­nen und Bedeu­tungs­zu­sam­men­hän­gen qua­si-auto­ma­ti­siert in Gang zu set­zen. Daß Hallam kein Alt-Nazi oder Deutsch­tüm­ler ist, der die Ver­bre­chen des Drit­ten Rei­ches beschö­ni­gen will, son­dern ein links­ra­di­ka­ler Bio­bau­er aus Wales, Dis­kurs­si­tua­ti­on und Inten­ti­on also völ­lig ande­re sind, geht in der kol­lek­ti­ven Erre­gung voll­ends unter. Viel­mehr wei­tet die Asso­zia­ti­on der Empör­ten sich sogar noch auf Begrif­fe wie “rechts­ra­di­kal” oder “anti­se­mi­tisch” aus, in einem nur schwer zu begrei­fen­den, von der Wirk­lich­keit abge­lös­ten Auto­ma­tis­mus Debat­ten repro­du­zie­rend, die in Deutsch­land vor Jahr­zehn­ten geführt wur­den. Posi­tio­nen aus einem vagen, kol­lek­ti­ven Gedächt­nis abru­fend, die kon­kret gar nicht ver­tre­ten wer­den, son­dern viel­mehr anschei­nend als unter­be­wuss­te Feind­bil­der in der gesam­ten Gesell­schaft einen unge­mein emo­tio­na­li­sie­ren­den Nie­der­schlag gefun­den haben.

Doch gera­de hier, wo etwas ins offen­kun­dig Absur­de ent­glei­tet, der Raum des Sag­ba­ren und Denk­ba­ren auf einen schma­len Kor­ri­dor redu­ziert wird und das kol­lek­tiv-besin­nungs­lo­se Affekt-Han­deln den Beob­ach­ter inner­lich lang­sam zu erschüt­tern beginnt, stellt sich aus der Vogel­per­spek­ti­ve eine eigen­ar­ti­ge Klar­heit ein: das Eige­ne und das Frem­de. Das Hei­li­ge und das Pro­fa­ne. Hier rich­tet eine Gesell­schaft sich aus, in den Koor­di­na­ten einer ihr von ihr selbst ein­ge­schrie­be­nen Heils­ge­schich­te. Wäh­rend die schnö­de Ratio­na­li­tät mit aggres­si­ver Inbrust abge­lehnt, gera­de­zu als Ver­bre­chen auf­ge­fasst wird und man den Frem­den ob sei­nes unver­zeih­li­chen Ver­sto­ßes gegen die Eti­ket­te post­wen­dend aus der Gemein­schaft ausstößt.

Der post­mo­der­ne Mensch, der post­mo­der­ne Kon­ser­va­ti­ve im Spe­zi­el­len fragt so häu­fig nach einer geleb­ten Kul­tur, einem leben­di­gen Wer­te-Zusam­men­hang, der dem Nihi­lis­mus trot­zen kön­ne. Hier kön­nen wir eine leben­dig sich behaup­ten­de Kul­tur, die ihrer­seits Ergeb­nis eines prä­gen­den his­to­ri­schen Pro­zes­ses ist, in Akti­on erle­ben. Und die­se bestä­tigt iro­ni­scher­wei­se bei­de Frak­tio­nen: die von Haber­mas gepräg­te Lin­ke, die sich selbst als pro­gres­si­ver Sie­ger der Geschich­te betrach­ten darf. Und den Kon­ser­va­ti­ven, der im impo­san­ten Voll­zug eines kol­lek­tiv­kul­tu­rel­len Auf­bäu­mens sei­ne Indi­vi­dua­lis­mus- und Ratio­na­lis­mus­kri­tik bestä­tigt sieht.

Hallam schließ­lich wirkt inmit­ten die­ses von exis­ten­zi­el­lem, hei­li­gem Ernst auf­ge­la­de­nen Spek­ta­kels bei­na­he als tra­gi­sche Figur. Als Frem­der inmit­ten eines unbe­kann­ten Sym­bol­rau­mes kennt er die deut­schen Sen­si­bi­li­tä­ten nicht, und wo er sie kennt, wo er sie zumin­dest rezi­piert, erschei­nen sie ihm als Außen­ste­hen­den, mit­hin Nicht-Gläu­bi­gen, lächer­lich. Was hier deut­lich wird, in der jovia­len Lax­heit, womit Hallam den Holo­caust ein­fach zu “just ano­t­her fucke­ry in human histo­ry” erklärt, und dem exis­ten­zi­el­len Ent­set­zen, das im Lau­fe nur eines Tages bis zur Auf­kün­di­gung einer Buch­ver­öf­fent­li­chung und dut­zen­den hoch­emo­tio­na­len Poli­ti­ker­aus­sa­gen eska­liert, ist der Bin­dungs- und Defi­ni­ti­ons­kern der deut­schen Nach­kriegs­ge­sell­schaft, an dem letzt­lich wohl der gan­ze Schmerz die­ses Jahr­hun­derts einer deut­schen Kata­stro­phe hängt. Der ver­ar­bei­tet wer­den muss, zumin­dest von den­je­ni­gen, die schon län­ger hier leben und des­halb unwei­ger­lich unter Groß­el­tern und Urgroß­el­tern auf Sol­da­ten, Koope­ra­teu­re oder Funk­tio­nä­re des Drit­ten Reichs sto­ßen wer­den. Die eige­ne Geschich­te muss einen Sinn ergeben.

Nicht sei­ne poli­ti­sche Gesin­nung wird Hallam damit eigent­lich zum Ver­häng­nis, son­dern sein Außen­sei­ter­tum, sei­ne rus­ti­ka­le Nai­vi­tät, womit er, eng­li­schen For­schungs­pio­nie­ren ähn­lich, gut­ge­launt den mys­ti­schen hei­li­gen Berg eines exo­ti­schen Lan­des besteigt um sich dann zu wun­dern, daß er sich im Koch­topf der Ein­ge­bo­re­nen wiederfindet.

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Posted on 3. Februar 20208. Juni 2022

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