oder: wieso Rechte immer verlieren
Aus der Unterscheidung zwischen politischer Gesellschaft und bürgerlicher Gesellschaft entwickelt Antonio Gramsci die Unterscheidung von Politik und Metapolitik. Wenn Politik das konkrete Aushandeln und Vollziehen gemeinschaftlicher Entscheidungen bezeichnet, so drückt in der bürgerlichen Gesellschaft sich der Bestand an Werten, Haltungen, Weltanschauungen aus, die in ihrer Wirksamkeit die Ausrichtung der Politik bestimmen. “Eine soziale Gruppe kann oder muss sogar führend sein, bevor sie die Regierungsgewalt erobert”, schreibt Gramsci, als Folgerung aus diversen gescheiterten Machtergreifungsversuche der Kommunisten in Europa. Auch eine erfolgreiche Revolution wäre also wahrscheinlich nur kurzlebig, sofern der weltanschauliche Konsens ihr feindlich gesonnen sei.
Daß die zeitgenössische Rechte hier hellhörig wird, ist nachvollziehbar, musste sie doch die Erfahrung machen, daß auch die demokratisch errungenen Wahlsiege der letzten Jahre sich als lediglich kurzlebig erwiesen. Donald Trump gewann die Mehrheit der amerikanischen Wähler, die dann doch nur miterleben durften, wie dieser im Gegensatz zu seinen Vorgängern vom ersten Tag an bekämpft, dämonisiert, als bloßer Irrtum der Geschichte, der schnellstmöglich korrigiert werden müsse, kommuniziert wurde. Vergleichbare Erfahrungen machten rechtspopulistische Parteien in Europa, FPÖ, Lega Nord, AfD, Rassemblement National — ihr politischer Erfolg, ihr Zuspruch bei den Wählern steht in einem bemerkenswerten Kontrast zur Ablehnung einer diffusen, schwer zu bestimmenden “Öffentlichkeit” und wird dadurch stetig untergraben. (Während umgekehrt beispielsweise über die deutschen Grünen trotz Ergebnissen im einstelligen Bereich seit Jahrzehnten eine äußerst wohlwollende Berichterstattung erfahren.)
Eine Differenzierung zwischen politischer und bürgerlicher Gesellschaft kann dieses Phänomen erklären: in der Person Trump kamen offenkundig Inhalte zur politischen Herrschaft, die mit dem herrschenden Wertekonsens nicht übereinstimmten. Damit also Wahlsiege tatsächlich substanzielle Veränderungen nach sich ziehen können, muss bereits vorher eine Veränderung des Wertekonsens erreicht werden. In diesem Sinne hat sich innerhalb der Neuen Rechten eine Unterscheidung zwischen “Politik” und “Metapolitik” etabliert, wobei zweiteres als eigentlich Ausschlaggebendes, einer möglichen Politik immer Vorangehendes, im Mittelpunkt steht.
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Metapolitik also will das Wertesystem der Gesellschaft verschieben, ausgedrückt im Bild des sogenannten “Overton-Fenster”, das den Bereich der gesellschaftlich etablierten Moral ausdrückt. Erst dadurch wird mit Wahlerfolgen nicht lediglich ein kurzfristiges Bremsen, sondern auch ein Wandel, ein substanzielles Umsteuern möglich.
Doch nun die entscheidende Frage: wie ist metapolitischer Erfolg zu erreichen? Bei Gramsci selbst bleibt es noch vage: “Appell an das Volksempfinden, die Umwertung der herrschenden Werte, die Schaffung “sozialistischer Helden”, die Förderung des Theaters, der Folklore, des Gesangs, etc.” Benoist steigt schon etwas tiefer hinab: “Hinzu kommt die wachsende Bedeutung der Freizeit, die der Kultur einen größeren Platz einräumt, und die Verbreitung bestimmter Themen und bestimmter Werte erleichtert. Und auch die, ebenfalls anwachsende, Anfälligkeit der öffentlichen Meinung für eine metapolitische Botschaft, wobei letztere umso wirkungsvoller ist und umso besser aufgenommen wird, als ihr direkter und suggestiver Charakter nicht klar als solcher erkannt wird und folglich nicht auf dieselben rationalen und bewußten Widerstände stößt wie eine Botschaft mit einem direkt politischen Charakter. Die ganze Macht der Schauspieler und der Vorführungen, der Unterhaltung und der Moden liegt im Übrigen in diesem letztgenannten spezifischen Zug begründet, und zwar insofern ein Roman, ein Film, ein Theaterstück, eine Fernsehsendung, etc. auf lange Sicht politisch umso wirkungsvoller sind, als man sie zu Beginn nicht als politisch erkennt, sie aber eine langsame Entwicklung, eine langsame Verschiebung der Mentalitäten von einem Wertsstem in Richtung auf ein anderes verursachen.” (Alain de Benoist, Kulturrevolution von rechts)
Das Mittel des Wandels ist also grob gesagt mit dem Begriff der “Kultur” zu bezeichnen, wobei Gramsci noch an die traditionelle Volkskultur denkt, Benoist bereits an die Massenkultur der Gegenwart. Feinsinnig erkennt Benoist auch die Schwierigkeit, ein Wertesystem zu beeinflussen: ist die propagandistisch-politische Motivation hinter einem Kulturwerk zu offensichtlich, wird es, als aufdringlich oder manipulativ empfunden, ebenfalls abgelehnt. Im Begriff der Metapolitik öffnet sich dementsprechend der Blick auf den vor-rationalen Maschinenraum der Gesellschaft: Das kollektiv Unter- oder Überbewußte als freudsches “Über-Ich” oder heideggersches “Man”, der Vorgang der Wertegenese selbst, der eine bestimmte Auffassung des Guten, Wahren und Edlen hervorbringt, die schließlich in einer Gesellschaft als identitätsbildend gepflegt und verteidigt werden.
Das Overton-Fenster ist also weniger der Bereich des “Sagbaren” selbst, sondern vielmehr der Bereich von Inhalten, die als Argumente anerkannt und sachlich diskutiert werden. Liegt das Gesagte außerhalb, findet eine emotionale Abwehrreation statt, der Inhalt wird zwar rezipiert, doch kaum mehr wirklich diskutiert, vielmehr angewidert zurückgewiesen. Die Grenzen des Overton-Fensters werden durch die vorherrschende Moral festgelegt, wobei die Moral selbst wiederum — im Gegensatz zu klassisch aufklärerischen Vorstellungen — nicht rational und verstandesmäßig geschaffen wird, sondern in einer tieferen Schicht des Menschseins lebt, zu der es nun hinabzusteigen gilt.
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Wie sähe theoretisch erfolgreiche Metapolitik aus? Dazu ein Beispiel. Der Roman “Atlas Shrugged” von Ayn Rand ist hierzulange weitgehend unbekannt. In den USA hingegen erreichte bei einer Umfrage, welches Buch das eigene Leben am meisten beeinflußt hätte, “Atlas Shrugged” den zweiten Platz hinter der Bibel, es zählt dort zu den einflußreichsten Werken des 20. Jahrhunderts. Der Roman handelt, grob gesagt, von der Erbin einer Eisenbahngesellschaft, die ihr Unternehmen innovativ vorantreibt, während sie gegen Sozialisten kämpft, die Unternehmer enteignen wollen und einer geheimnisvollen Verschwörung auf die Spur kommt. Es ist allerdings nicht die mit durchaus interessanten Science-Fiction-Elementen angereicherte Geschichte an sich, wodurch das Buch das Leben vieler beeinflußte, sondern die mittels der Geschichte transportierte Weltanschauung. Diese ist eigentlich nicht übermäßig sympathisch, zumindest aus der Sicht von Menschen, die das Buch nicht gelesen haben: ein rabiater Laissez-Faire-Kapitalismus, der Egoismus zur Tugend erklärt und philosophisch einen naiven Objektivismus verficht, während sozialistisch-christliche Ideale wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Mitgefühl und Selbstlosigkeit zur Wurzel allen Übels auf der Welt erklärt werden. “Ich schwöre, dass ich niemals zum Wohl eines Anderen leben werde und niemals von einem Anderen verlangen werde, für mein Wohl zu leben.“
Jedoch scheint es Ayn Rand gelungen zu sein, mittels der von ihr ersonnenen Charaktere und Handlungsabläufe den Leser auf eine lebendig-emotionalen Weise mitzureissen, wie das die bloße Theorie wohl nicht vermocht hätte. Die edlen Kapitalisten, die verkommenen Sozialisten und die schädliche Wirkung des Mitleids schildert sie so eindringlich und überzeugend, daß sie auf eine bestimmte Weise im Kopf des Lesers “wahr”, also sichtbar, greifbar, fühlbar werden. “Atlas Shrugged” scheint imstande, dem Leser eine neue Wirklichkeit zu erzeugen, sein bestehendes Weltbild durch die Lektüre völlig umzukrempeln. Es besitzt als Kunstwerk eine Qualität, die imstande ist, den typischerweise in unserer Gesellschaft negativ konnotierten “Egoismus” in etwas Positives, Schönes, Inspirierendes, vor Kraft, Klugheit und Zukunft nur so Strotzendes zu verwandeln. Der Blick vieler Leser auf die Welt ist nach der Lektüre ein anderer, und sie sind dem Buch dafür sogar noch dankbar, weil dieser Blick ihnen als der bessere erscheint. Und das sorgt schließlich auch für politische Ergebnisse — die für Europäer so unverständliche Ablehnung einer gesetzlichen Krankenkasse in den USA soll tatsächlich auf den Einfluß von Ayn Rand zurückgehen.
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Vergleicht man nun “Atlas Shrugged” mit der Aktion “Defend Europe” der Identitären Bewegung, wird eines deutlich: die Neue Rechte spricht ununterbrochen von Metapolitik, doch eigentlich betreibt sie keine, weil sie einer Fehlinterpretation anhängt. Während Metapolitik eigentlich bedeutet, Werte als Ausdruck von Kultur durch das Schaffen von neuen, kulturellen Werken zu verändern, wird der Begriff von Rechten zumeist lediglich im Sinn von “nichtparlamentarischem, politischem Aktivismus” aufgefasst. Die Identitäre Bewegung als bekanntester Protagonist beispielsweise nennt ihren Aktivismus “Metapolitik” und verfolgt damit das Ziel, das Meinungsklima zu verändern. Doch sie adressiert dabei die Gesellschaft politisch, nicht metapolitisch, plaziert also schlicht ihre politischen Ziele und Inhalte in der Öffentlichkeit.
Eine Aktion wie “Defend Europe” verfehlt deshalb die metapolitische Ebene vollends. Sie popularisiert durch aufsehenerregende Durchführung die Tatsache, daß über das Mittelmeer massenhafte illegale Migration stattfindet. Doch das Popularisieren alleine verändert die herrschende Moral nicht. Vielmehr wird das Tun durch den Filter der herrschenden Moral rezipiert, weshalb die Identitären lediglich als Unmenschen wahrgenommen werden, die ungerührt dabei zusehen wollen, wie unzählige Verzweifelte im Mittelmeer ertrinken oder im Elend des afrikanischen Kontinents dahinsiechen.
Die Neue Rechte neigt fälschlicherweise dazu, das Overton-Fenster als Inhalts-Fenster aufzufassen, in das einfach Inhalte durch mediale Aufmerksamkeit hineingestoßen werden sollen. Sinnvoller wäre es allerdings, es sich als Schablone, als jenseits der bloßen Inhalte verankertes Beurteilungssystem, vorzustellen. Ein einfaches Rezipieren von als verwerflich wahrgenommenen Inhalten kann es also kaum erschüttern. Die Identitäre Bewegung kann hundertmal mit einem “Stoppt den Großen Austausch” Banner in der FAZ erscheinen. Solange die Aussage selbst aber als widerlich angesehen wird, wird das kulturell/metapolitisch nicht mehr verändern als ein Aufruf zur Legalisierung von Kannibalismus. Ihre Inhalte werden vielmehr innerhalb des Rahmens des bestehenden Meinungsklimas rezipiert, und dann — wie auch bei Trump in den USA — unter der Öffentlichkeits-Linse langsam zermürbt und zerschmolzen, während es niemand wagt, den Tabubrechern zur Hilfe zu eilen.
Ähnlich verhält es sich mit den meisten anderen rechten, aktivistischen Projekten der Gegenwart: sie beanspruchen den Begriff der “Metapolitik” bieten aber ebenfalls lediglich politische Inhalte in einem außerparteilich organisierten Rahmen, im besten Fall grafisch oder musikalisch umrahmt. “Heimat Defender” beispielsweise ist auf den ersten Blick als politisch-ideologisches Marketingprodukt erkennbar, es dient in seiner ironischen Aufmachung samt Insiderwitzen lediglich der rechten Szene selbst als kurzweilige Belustigung, die metapolitische Wirkung dagegen, eine Veränderung des Meinungsklimas, eine Normalisierung rechter Positionen, bleibt aus.
In diesem Sinn scheitert die Pseudo-Metapolitik auf die letztlich gleiche Weise wie der gerne geschmähte Parlamentspatriotismus: sie bleibt abhängig von dem, was die Herrscher über das Meinungsklima zulassen, während sie es selbst nicht verändert, sondern lediglich als belangloser Störenfried, vielleicht sogar als nützliches Requisit zur emotionalen Mobilisierung der Massen (“Kein Vergessen!” “Wir sind mehr!”, “FCKAFD”) dient. (Der Abstieg der AfD begann mit dem Messermord in Chemnitz.) Dadurch wird die falsch verstandene “Metapolitik” zu einer besseren Beschäftigungstherapie, der einem kleinen Kreis von blasierten Außenseitern das Gefühl gibt, die Elite von morgen zu sein, während die Wirklichkeit an ihnen vorbeizieht.
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Ein weiteres Beispiel, um zu zeigen, wie erfolgreiche Gegenkultur in der Praxis aussehen könnte, sind die 68er. Die Rechte neigt dazu, den Erfolg der 68er als geniale, subversive Strategie der Unterwanderung, des “Marsches durch die Institutionen”, als planvolles, immer bereits nach politischer Macht strebendes Vorgehen aufzufassen. Damit projiziert sie zum einen nur das eigene, kleinkarierte Denken hinein, zum anderen wird damit auch der Weg verstellt, um den tatsächlichen metapolitischen Mahlstrom der 68er zu verstehen. In Wahrheit beginnen die 68er bereits in den 50er Jahren mit der amerikanischen Beat Literatur, Autoren wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac, William Burroughs, die als Außenseiter radikal aus der Fadheit des damaligen Amerika auszubrechen suchen, durch Kunst, durch Drogen, durch Sex, durch den ekstatischen Jazz der Schwarzen, durch fernöstliche Spiritualität. Unter anderem daraus entsteht die Hippie-Bewegung an der amerikanischen Westküste als subkulturelles Phänomen der amerikanischen Jugend, die schließlich in den 60ern in den großen, ikonischen Bildern mündet, die bis heute in unzähligen Kunstwerken, Romanen, Spielfilmen, Dokumentationen und Musikstücken eine ungeminderte Anziehungskraft ausüben: Woodstoock, wo 400 000 Menschen 3 Tage lang ein neues Lebensgefühl feiern, während ein Genie wie Jimi Hendrix mit seinen revolutionären Gitarrenspiel die amerikanische Hymne künstlerisch entfremdet, für seine Bewegung verwandelt. Junge amerikanische Sinnsucher, die nach San Francisco ziehen, in Kommunen nach alternativen Lebensentwürfen forschen, bunt bemalte VW-Busse, Meditation, Bewußtseinserweiterung, sogar die Beatles fahren nach Indien zur Transzendentalen Meditation und ihr Spätwerk ist ohne psychedelische Hippie-Einflüsse kaum denkbar. Die riesigen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. “Image all the people sharing all the world” — die begnadesten Künstler jener Zeit sind Teil dieser Bewegung, oder vielleicht werden sie erst dadurch zu diesen begnadeten Künstlern, indem sie aus der Aufbruchsstimmung der Bewegung heraus, der Euphorie einer anbrechenden neuen Zeit, ihren eigenen, eigenwilligen, heute ikonischen Ausdruck schaffen.
Die 68er als politische Bewegung entstehen erst später, Studenten, junge Intellektuelle, Kommunisten, die am Ende aus der gegenkulturellen Energie eine politische Programmatik zimmern. Doch die eigentliche metapolitische Substanz, das Ethos, die Strahlkraft, das Anziehende und Vorbildhafte der 68er liegt nicht in den verhärmten K‑Gruppen-Brillenträgern und versponnenen französischen Poststrukturalisten, die in den 70ern dann übernehmen und einen neuen Gesellschaftsentwurf in die Universitäten tragen. (Interessant dazu: Camille Paglia und Jordan Peterson über die 68er.)
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Beim Roman “Atlas Shrugged” und der Hippie-Bewegung handelt es sich zunächst einmal um sehr unterschiedliche Phänomene. Umso interessanter ist die Frage, was sie im Inneren verbindet, was ihnen ihre Wirksamkeit verleiht. Natürlich ist ein Roman nicht “real” im materiellen Sinn: daß der Mensch durch die Phantasiebilder in seinem Kopf während des Ablesens abstrakter Zeichen auf einem Blatt Papier eine Wirkung empfängt, die dermaßen prägend und tief in seine Seele hinabreicht, daß sie imstande ist, die Grundlagen seiner Weltsicht zu verändern, ist für sich genommen schon faszinierend. Bedenkt man allerdings, daß einerseits die Hippie-Bewegung auch primär über Medien rezipiert wird, andererseits traurige Filme bekanntlich durchaus zu Tränen rühren können, weil der Mensch auch gegenüber Fantasiefiguren (ja, sogar in Filmen über Zauberer oder Tier-Animationsfiguren) imstande ist, Empathie zu entwickeln, nähert sich die Rezeption wieder an.
Was sie also jenseits des formellen Unterschieds von fiktiver und historischer Realität in ihrer Wirksamkeit eint, ist, daß sie ihre Prinzipien, das, was sie als Ethos in die Welt tragen wollen, nicht als Theorie vortragen, sondern mittels Personen und Ereignissen als gelebtes Dasein verkörpern. Wobei diese Konkretion wiederum nur Sinnbild ist für ein höheres Prinzip, das durch die individuelle Erscheinung hindurch und über sie hinausreichend ausgedrückt wird. John Lennon (oder Dagny Taggart, die kapitalistische Hauptfigur bei “Atlas Shrugged”) wird an dem Punkt zu Metapolitik, wo ihr Leben eine Art symbolhafter Durchsichtigkeit, eine Meta-Realität erhält. Sie sind nicht mehr nur das was sie sind, in ihnen drückt sich ein Prinzip, ein Lebensentwurf, die Verkörperung eines Allgemeinen aus. Sie stehen nicht nur an einem bestimmten Ort, sie stehen für eine Idee, ihr Dasein erhält eine überzeitliche, transzendente Dimension. In dieser symbolischen Verkörperung wohnt These und Beweis in einem, es ist Vor-Bild in dem Sinn, den in archaischeren Zeiten der Mythos, das Ritual, der Helden- und Götterkult hatte.
Im vorliegenden Kontext können wir Mythos als “Ethik” auffassen. Nur eben im Gegensatz eines modernen Begriffs von Ethik nicht als rationaler, also abstrakt-logischer Prozess, sondern in der Verwandlung des eigenen Wesens durch die Kraft des Symbols, das die neue Wirklichkeit in uns selbst schafft. Wir grübeln hier keine Sekunde lang über Tautologien, Begriffe und innere Widersprüche, wir ziehen keine Beweisführung nach, sondern wir sehen, bei einer Woodstock-Dokumentation, in der Musik eines The Doors Albums oder beim Lesen von “Atlas Shrugged” das Wahre als Wirkliches vor uns. Es überzeugt uns nicht auf intellektueller Ebene, es ergreift uns, bekehrt uns.
Jedoch — was nun sehr spirituell klingt und auch sehr spirituell ist, ist in verwässerter Form auch Teil unserer Alltagskultur. Eine Jeans beispielsweise ist rational betrachtet nur ein Stück Stoff, das gewissen funktionalen Ansprüchen genügen soll. Doch zeigt man es uns im Werbespot, getragen von einem perfekt aussehenden Menschen, der damit, inszeniert in intensiver Videoclip-Ästhetik, eine Partynacht im coolsten Untergrundclub der Stadt feiert, während die schönsten Frauen sich um seinen Hals räkeln, dann werden auf vergleichbare Weise die rationalen Faktoren hineingewoben in eine Welt aus Bildern, Assoziationen, Wunschträumen, Lebenswelten, potentiellen Selbstentwürfen. Wir kaufen im Laden dann nicht lediglich eine Hose, sondern stillen das Verlangen, Teil der im Werbespot gezeigten Wirklichkeit zu werden. Es existiert mittlerweile eine umfangreiche Forschung dahingehend, inwiefern in der heutigen Massenkultur, in der Rezeption von Bands und Sängern, von Filmen und Schauspielern, von Werbeclips und Marken letztlich die eigentlich längst verschollen geglaubten Muster mythologischer Wirksamkeit zum Tragen kommen. (Nur machen sie uns heute nicht mehr zu Helden, sondern zu Konsumenten.)
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Und damit schließt sich letztlich der Kreis, und wir sind wieder bei der Metapolitik als der Frage, inwiefern sich kulturell etablierte Wertesysteme verändern lassen. Jedoch ist im Durchschreiten des Kreises die Beschaffenheit von Wertesystemen wie auch die Beschaffenheit dessen, was sie zu verändern vermag, anschaulicher geworden. Wenn in diesem Sinne die symbolisch-vorbildhafte Verkörperung von Werteprinzipien getrennt betrachtet wird von der rationalen Inhaltsebene, lassen sich für die aktuelle oppositionelle Situation daraus meines Erachtens einige Erkenntnisse ableiten.
I: Rationalität
Entgegen des bisher Vorgebrachten halte ich das klassische, rationale Argumentieren in keinster Weise für vergeblich. Es ist lediglich notwendig, sich die Grenzen seiner Wirksamkeit, seine Differenz zum Kern von Metapolitik zu vergegenwärtigen.
Was die Möglichkeit zur Veränderung des Wertesystems betrifft, gibt es im akademischen, intellektuellen Bereich durchaus Köpfe, die sich so weit eine rationale geistige Disziplin angeeignet haben, daß sie gewillt sind, Overton-Überschreitendes, die gängigen Haltungen Hinterfragendes sachlich zu diskutieren. Diese Menschen sind nicht zahlreich, doch sie haben teilweise großen, gesellschaftlichen Einfluß. Leider existiert bis dato kaum eine gegenkulturelle Forschung auf akademischem Niveau, im Gegenteil sorgt die linke Hegemonie vielmehr dafür, daß beispielsweise kritische Doktorarbeiten über Migration, Islam, Liberalismus, Gender Studies oder Multikulturalismus gar nicht erst abgefasst werden können.
Darüberhinaus ist Rationalität innerhalb des Overton-Fensters wirksam, und das ist gar nicht so schmal, wie oftmals geglaubt wird. Wenn beispielsweise in Deutschland die illegale Migration über das Mittelmeer im Rahmen der etablierten universalistisch-humanitären Moral gutgeheissen wird, kann bereits in diesem Rahmen gezeigt werden, daß diese Form der Migration nur die Reichsten und körperlich Durchsetzungsfähigsten nach Europa bringt. Wie auch die Flüchtlingsaufnahme 2015 neben Unmengen an Glücksrittern primär die syrische Oberschicht, die sich die hohen Schlepperkosten leisten konnten, in den bequemen, deutschen Sozialstaat half, während die tatsächlich armen Syrer teilweise ihre Töchter an reiche, türkische Bigamisten verkaufen mussten, um über die Runden zu kommen. Solche Aspekte werden von den Herrschenden systematisch ausgeblendet, weil sie damit ihrer sendungsbewußt vorgetragenen Wertewelt selbst widersprechen würden, und es muss erste Aufgabe einer Opposition sein, das gekonnt zu thematisieren.
Das Overton-Fenster wird auf diese Weise nicht verschoben, doch im besten Fall lässt sich damit die moralische Glaubwürdigkeit linker Eliten so weit erschüttern, daß ihre Gatekeeper-Funktion beschädigt wird. Denn diese Gatekeeper-Funktion steht auf moralischen, also symbolischen Füßen, sie ist nur wirksam aufgrund einer allgemein anerkannten Vorbildrolle, einer allgemein wahrgenommenen Glaubwürdigkeit.
Wird durch zu große Widersprüchlichkeit die Vorbildrolle beschädigt, wird das Overton-Fenster durchlässiger, zumindest in dem Bereich, in dem bereits jetzt eine Abweichung zwischen Eliten-Moral und Volks-Moral feststellbar ist: wie Umfragen festgestellt haben, lehnt bereits heute die Mehrheit der Deutschen den Islam ab, sieht Deutschland als überfremdet an, lehnt Gender-Sprache ab und hat das Gefühl, zunehmend in der Öffentlichkeit die eigene Meinung zu besagten Reizthemen nicht mehr offen sagen zu können. Ein großer Teil steht auch den Öffentlich-Rechtlichen, der EU, dem Euro, den Öko-Transformationsplänen skeptisch gegenüber. Diese Kluft zwischen dem Overton-Fenster der Eliten und dem Overton-Fenster des Volkes ist es eigentlich, der im Rechtspopulismus als Konflikt ausgetragen wird. Doch ohne die machtvolle Diskurskontrolle der Eliten könnte der Rechtspopulismus bereits heute auch ohne eine Verschiebung des Overton-Fensters, lediglich durch eine Demontage der Eliten, Wahlen gewinnen. (Wobei damit nur bereits etablierte Positionen, also grob der Bereich des Liberalkonservatismus, gemeint sind. Dezidiert rechte Positionen stehen aktuell auch im Volk außerhalb.)
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Es scheint allerdings, als hätten die den Diskurs beherrschenden Eliten längst verstanden, daß sie gerade im populären Kontext, also beispielsweise bei Talkshows im Fernsehen, auf rationaler Ebene nicht gewinnen können, weil die Volks-Moral die Eliten-Politik längst sehr kritisch betrachtet. Und so wird der aufziehende Kulturkampf längst nicht mehr als braves, habermassches Ringen um das bessere Argument ausgetragen, vielmehr nutzen die Meinungsführer ihre Macht für eine Inszenierung. Durch Ausgrenzung, durch die Art der Ansprache, durch Tonfall, Gesichtsausdruck, teils gar durch eigens ausgewähltes Publikum, das wie bei Sitcoms dann politisch zuverlässig, lacht, klatscht und ausbuht, wird der AfD-Vertreter gezielt als Dummer August vorgeführt; als lächerlich, peinlich, als menschlicher Dreck, der lediglich aufgrund seiner Dummheit gefährlich ist.
Die AfD-Vertreter sind mit dieser Strategie, die im Grunde wie ein Negativ-Werbespot funktioniert, also darauf abzielt, die rationale Ebene mit Negativ-Assoziationen zu verdecken, zumeist völlig überfordert. Meist klammern sie sich an ihre Inhalte, daran, daß man ihnen doch nur einmal kurz zuhören müsste, daß man sie doch nur missverstehen würde, etc. — während sie menschlich dieser Behandlung nicht gewachsen sind. Sie stottern, sie verhaspeln und verkrampfen sich, kauern wie geprügelte Hunde in ihrem Sessel, die bestellte Menge johlt, Schnitt auf das amüsierte Lächeln des Moderators, und so nehmen sie — als Verkörperung ihres Prinzips ‑letztlich in diesem öffentlichen Schaukampf genau die Verliererrolle ein, die man für sie geplant hat und mit der sich niemand identifizieren mag, der noch eine Spur von Selbstachtung besitzt.
II: Persönlichkeit
Es existieren zwei Möglichkeiten, womit die über der Rationalität sich aufspannende Wertestruktur angesprochen werden kann: durch die symbolische Fiktion im Kunstwerk oder durch lebende Menschen, die als Persönlichkeiten im Ausdruck ihres Lebens und Handelns ihre Weltanschauung nicht nur vortragen, sondern substanziell verkörpern. Auf diese Weise können sie selbst zu Symbolen, zu neuen Leitfiguren und Vorbildern aufsteigen und damit die kulturelle Matrix prägen. Wenn ein Junge vor 100 Jahren Soldat, vor 50 Jahren Astronaut und heute YouTube-Influencer oder Rapper werden will, so bedeutet das nicht, daß der Mensch sich an sich verändert hätte, sondern nur, daß die jeweilige Epoche andere Identifikationsfiguren kennt.
Das Vorbild schafft sich seine Nachbilder selbst, darin liegt sein Vermögen. So war bei der französischen Präsidentschaftswahl ein unerwartetes Phänomen zu beobachten, denn dort traten erstmals zwei rechte Kandidaten mit verschiedenem Profil, aber ähnlichem Inhalt an: Marine Le Pen positionierte sich als eher links-sozial ausgerichtete Kümmerin, die sich gerade für die einfachen Schichten, die Arbeiter, die Geringverdiener einzusetzen versprach. Nach der Wahl zeigte sich, daß sie damit auch primär von diesen Schichten gewählt worden war.
Eric Zemmour dagegen, der auf eine lange Karriere als Journalist, Kolumnist und Moderator von Talkshows zurückblickt, verkörperte in der Art seines Auftretens, in Stil und Ton ganz den Großstadt-Intellektuellen, der er tatsächlich ja auch ist. Und obwohl seine Aussagen teilweise deutlich radikaler waren als diejenigen Le Pens, zeigte sich in der Wahlanalyse, daß seine Wähler überraschenderweise stark den urbanen, akademischen Gutverdiener-Kreisen entstammten, denen man bislang kaum ein Rechtswähler-Potential zugetraut hatte.
Zemmour hat dieses Potential also in gewisser Weise selbst erzeugt. Durch sein Auftreten, durch das, was er durch seine Biographie und seinen Habitus verkörpert, war es ihm möglich, rechte Inhalte auch gegenüber Wählern, die Le Pen verachten, respektabel, einleuchtend, unterstützenswert wirken zu lassen. So hat er mittels seiner Persönlichkeit erfolgreich Metapolitik betrieben. “The medium is the message” — dieser bekannte Satz von Marshall MacLuhan ist wahr. Der Mensch, der die Botschaft ausspricht, ist Teil der Botschaft, und es ist gerade dieser prä-rationale, den Inhalt transzendierende Teil, worin Metapolitik sich abspielt. Im Positiven, wie bei Zemmour, aber natürlich auch im Negativen, wie bei den Auftritten der AfD.
III: Aktivismus und Gegenkultur
Das Prinzip charismatischer Verkörperung findet natürlich nicht nur durch Einzelpersonen statt, sondern auch durch Gruppen und Bewegungen als Ganzes. In diesem Sinn halte ich die Identitäre Bewegung trotz meiner Kritik nicht für metapolitisch wirkungslos. Lediglich findet die Wirkung auf andere Weise statt als das die Konzeptpapiere der IB selbst es sich ausmalen.
Es gibt einen Grund, wieso die YouTube-Kanäle der NPD bis heute aktiv sein dürfen, während die Identitäre Bewegung in konzertierten Aktionen mit derartiger Rigidität deplatformed wurde, daß alleine das Aussprechen des Namens “Martin Sellner” bei Facebook eine Sperre nach sich zieht. Das dürften weniger die Inhalte sein — daß auf dem Mittelmeer NGOs die illegale Migration unterstützen, ist allgemein bekannt — sondern vielmehr der Auftritt selbst. Die Identitären und speziell der stets sehr wienerisch-entspannte, erstaunlich “normal” wirkende Martin Sellner als dem Gesicht der Bewegung drückten eine ganz neue Verkörperung des Rechten aus. Jung, gebildet, stylish, mehr studentenhaft als proletarisch, ironisch, popkulturell, witzig, ambitioniert und idealistisch — sie gaben ihrem Thema eine ganz andere Energie als die gewohnten Klischees von arbeitslosen Skinhead-Schlägern und über den Zaun hetzenden Nazi-Rentnern. Rechts war noch immer böse, doch die Identitäre Bewegung eröffnete die für die Eliten beängstigende Möglichkeit, daß rechts gleichzeitig den Jugendkulturschwenk hin zu “cool” vollziehen könnte.
So liegt der metapolitische Ertrag einer “Defend Europe” Aktion letztlich vielleicht weniger im Popularisieren der Botschaft, sondern in den Bildern junger, engagierter Männer, die mutig genug sind, sich mit einem Boot direkt dem Unrecht entgegenzustellen, für ihre Sache etwas zu riskieren. Also weniger im Popularisieren der Botschaft als im Popularisieren der Bewegung selbst, die damit einen neuen, anziehenden Lebensentwurf, eine neue Haltung zum Leben in die Öffentlichkeit trägt.
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Das Medium ist die Botschaft. Das ist die Devise, unter der eine mögliche metapolitische Wirksamkeit rechter Aktivität untersucht werden kann. In diesem Sinn kann die Identitäre Bewegung Erfolge verbuchen, in diesem Sinn sind womöglich auch Projekte wie “Heimat Defender” positiv wirksam. Sie geben dem Betrachter Einblick in einer interessante, rege, kreative Szene, vermitteln etwas Lebendiges, Aktives, Inspiriertes und ziehen dadurch wiederum Menschen an, die sich in ihrem eigenen Wesen davon angesprochen fühlen.
Allgemein betrachtet dürfte es nicht falsch sein, sich die gegenwärtige, kulturelle Realität als eine Vielzahl von Vorbild-Angeboten, von Lebensentwürfen, von möglichen Wertesystemen vorzustellen. Sie alle strahlen nach außen etwas aus, und ziehen dadurch Menschen an, die irgendeine Form von Resonanz mit dem eigenen Dasein empfinden. Wobei der Typ von Mensch, der jeweils angezogen wird, wiederum sein Eigenes mitbringt, sowohl was objektive Fähigkeiten betrifft als auch den Charakter. Wird er Teil der Bewegung, strahlt sein Charakter wiederum nach außen aus, er repräsentiert die Bewegung und entscheidet darüber, wie noch Unbeteiligte auf sie reagieren. Und so entwickelt sich eine Bewegung, so wächst sie, verändert sich und ist schlußendlich erfolgreich oder geht wieder mangels Anziehungskraft ein.
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Die Art der Außenwirkung determiniert den Zulauf, damit die Dynamik und die Zukunft einer Bewegung. Wer eine Kulturrevolution anstrebt, muss letztlich Menschen anziehen, die imstande sind, eine neue Kultur künstlerisch oder intellektuell zu schaffen oder in ihrer Persönlichkeit auszudrücken. Er muss die Fähigsten, die Verwegensten, die Energiegeladensten, er muss, kurz gesagt, die Elite von morgen in seinen Bann ziehen können, ihnen eine Inspiration ins Herz pflanzen.
Die 68er Bewegung hat genau das vermocht, doch im Vergleich dazu bietet unsere heutige Rechte ein deprimierendes, leeres Bild — eine Rechte als kulturelle Bewegung existiert im Prinzip gar nicht. Wo wären die skandalösen Romane, Gedichte, Theaterstücke, Filme rechter Künstler, die von verwegenen, bürgerlichen Intellektuellen heimlich verschlungen würden, weil sie so packend, intensiv und neu sind? Wo wären junge rechte Musiker, die auf der Suche nach ihrem ureigenen, rechten Ausdruck bestehende Konventionen niederreissen und einen völlig neuen Ton in die Welt hineintragen? Wo wäre eine Bewegung an experimentellen Sinnsuchern, die aus der linksliberalen Tristesse auszubrechen versuchen? Natürlich lässt sich vieles nicht einfach spiegeln, wird eine rechte Gegenkultur sich vielleicht immer anders, eigen und neu ausdrücken als der 68er-Kontrahent. Doch, ganz allgemein ausgedrückt: Wo wird gerade seitens der Rechten ein Gedanke ins Leben geholt, als Prinzip verwirklicht, statt nur verbissen proklamiert zu werden? Wo wird etwas geglaubt, gewusst, wo wird die neue, höhere Welt, die Vision des neuen Menschen gelebt, der doch im Zuge einer Kulturrevolution erschaffen werden müsste, um die Unzulänglichkeit des Jetzt zu überwinden?
Davon lässt sich im Moment wenig wahrnehmen. Möglicherweise gab es dereinst einmal auch eine idealistische, inspirierte Rechte, zumindest weist der Reichtum des Schaffens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts darauf hin. Doch all das mündete bekanntlich in totalem Grauen und totaler Niederlage. Das Wesen des Rechten, so scheint es, floh daraufhin die Welt der Menschen und verkroch sich in eine kalte, lichtlose Höhle tief unter den Bergen.
Auch die 68er kultivierten die Pose des Außenseiters, des Rebells, dabei war ihr Schaffen aber immer von einer echten Vision, in Kunst und Denken auch von außerordentlichem Talent geprägt. Es ist, als wussten sie innerlich zu jedem Zeitpunkt, daß sie die bestehende Epoche überwinden würden, daß in ihnen etwas Höheres, Überlegenes vorgeht. Als Verlierer und überführtes Monster der Geschichte dagegen verwandelte der Rechte sich in ein Spukgespenst, eine chronisch defensive, schizoide Figur, hineingekrümmt in die Unfähigkeit, den Verlauf der Geschichte anzuerkennen. Gelegentlich, beispielsweise bei der Rechtseuphorie von 2015, greift er mit ungelenken, lüsternen Scherenbewegungen aus, um etwas zu erbeuten und in seine Gegenwelt-Höhle hinabzuziehen. Doch innerlich hat er längst resigniert, nicht die Flamme von morgen, sondern die Asche von gestern ist sein Begehren, während er der Welt von heute nur vor Wut zischend den Untergang wünschen kann.
Es fällt nicht leicht, den Rechten zu mögen. Wenn wir ihm ein Seelentier zuweisen wollten, dann wäre es Gollum. In den langen Jahren der Isolation und des Ausgestoßenseins hat er im Zuge seiner eigenen Gegenwelt-Dynamik die Typologie von jemandem ausgebildet, dem ein traumatisches Erlebnis alles Schöne, jedes Verlangen nach Höherem, jede Liebe in der Seele abgetötet hat, dessen psychische Konstitution nur noch auf ein verstört-zerstörtes Überleben hin ausgerichtet ist. Er wirkt zynisch, kalt, aggressiv, in seinem ganzen Ethos nur niedrig und brutal. Kaum Edles, Idealistisches ist erkennbar, und trifft er darauf, begegnet er ihm mit Hohn und Spott. Sein Dasein ist geprägt von postpubertären Provokationen und einer zähen, misanthropischen Rachsucht, von Angeberei und aufgeblasenem Größenwahn, der periodisch dann aufgrund chronischer Erfolglosigkeit in Gejammer, Untergangsfantasien und Selbstmitleid umschlägt.
So nimmt es nicht wunder, daß die rechte Bewegung nie so recht zur Bewegung wird, sondern als skurrile Randerscheinung der Gesellschaft vor sich hin dümpelt. Auch Begriffe wie “Gegenkultur” oder “Kulturrevolution” werden lediglich instrumentell im Zuge machtgieriger Planspiele verwendet, während das Wesen von Kultur selbst als Veredelung und Erhöhung des Daseins ihm nie ansichtig wird. Der Rechte will die Kultur nicht um der Kultur willen, sondern um mittels ihrer zur politischen Macht zu gelangen. Doch wieso er sie eigentlich wollte — es scheint, das hat er in den Jahrtausenden unter dem Berg, während er dem Tropfen des kalten Wassers lauschte, längst vergessen.
IV: Publizistik
Ganz am Ende nun das, wofür der vorliegende Text ursprünglich einmal lediglich als knappes Vorwort dienen sollte, nämlich “The Tom Wolfe Model” von Michael Anton, einem US-amerikanischen Autor, der unter anderem für Donald Trump gearbeitet hat. Er stellt sich dort die Frage: wo bleiben die Geschichten? “It is hardly an original insight to say that stories move the world to an infinitely greater extent than policy papers. Yet the Right spends infinitely more on the latter than on the former. The Left, which understands power and how to use it far better than we do, does not make this mistake.” Die Linke beherrscht meisterhaft, woran die Konservativen seit Jahrzehnten scheitern: ihre Themen zu erzählen, als Geschichten emotional und menschlich aufzubereiten und damit kulturell zu verbreiten. Wahrscheinlich haben beispielsweise die Filme von Pedro Almodovar in ihrem Humor, der Lebendigkeit der Charaktere und nicht zuletzt ihrer künstlerischen Perfektion mehr zur Akzeptanz von Homosexualität begetragen als sämtliche Emanzipationspamphlete und Schwulendemos.
Geschichten schreiben statt Theorieartikel, Personen schildern statt politischer Positionen. Michael Anton nimmt sich Tom Wolfe als Vorbild, dessen von Realismus und ausgiebiger Recherche geprägtem Stil die Grenzen von Sachbuch und Literatur verschwimmen lässt. Seine ersten Bücher sind Reportagebände — über Hippies und die 60er Jahre. Er sucht die Menschen vor Ort auf, spricht mit ihnen, beobachtet sie, lernt sie kennen, lernt sie verstehen und macht daraus Portraits, worin sich im Individuellen das Typische einer ganzen Epoche widerspiegelt.
Dann wechselt er von der Journalistik zum Roman und schreibt sein Meisterwerk: “Fegefeuer der Eitelkeiten”, eine vernichtende Satire über die New Yorker Gesellschaft der 80er. Die Charaktere sind erfunden wie auch die Handlung, doch beruhen auf so detaillierter Real-Recherche, sind so unverkennbar der New Yorker Realität entnommen, daß am Ende nicht nur ein Roman steht, sondern ein Sittengemälde, das eine ganze Epoche, ein ganzes Milieu schonungslos entlarvt.
Michael Anton schildert, wie er selbst Wolfes Ansatz nutzen wollte, um den großen anti-linksprogressiven College Roman zu verfassen: “My intent, I can tell you, was to blow the lid off political correctness, rampant anti-Americanism, the collapse of the humanities, the Astroturffed protest culture, the racial grievance racket, the corrupt administration, the horrible relations between the sexes — in other words, all the things so disastrously wrong with the modern university. (To which I intended to add subplots on the frat scene, the football team, and the conservative subculture.) In other words, I wanted to tell as a story — with a setting, characters, action, dialogue and plot — the same narrative presented in fine books such as ‘Illiberal Education’ and ‘Tenured Radicals’. But much more engrossingly, as Wolfe argued, than nonfiction is typically capable of.”
Und damit sind wir zurück beim Kern dieses Textes, der Differenz zwischen einer rationalistisch-politischen Ebene, auf der ein Milieu einfach nur im Stile eine Sachbuches oder mittels Ideologiekritik geschildert wird, und der künstlerisch-metapolitischen Ebene, die dasselbe Thema mittels Personen, Handlungen, spezifische Situationen konkretisiert und auf diese Weise einen weitaus nachdrücklicheren Eindruck hinterlässt. Einen Eindruck, der nicht lediglich zum Denken anregt, sondern die ganzen Welt verwandelt.
Doch jetzt endlich zum Text: The Tom Wolfe Model
Eine scharfsinnige und faire Kritik. Vieles überzeugt. Eins möchte ich aber einwenden:
Obwohl es Konsens zu sein scheint, ist das Rechte im Bereich des Kulturschaffens keineswegs unterrepräsentiert. Fast schon im Gegenteil:
Einflußreiche Werke wie Herr der Ringe, Star Wars oder Harry Potter waren nicht nur implizit von starken rechten Motiven durchzogen.
Jeder halbwegs gute Hollywoodfilm handelte über Heldentum, Kampf, Ehre usw. Von Meisterwerken wie Fight Club mit generationenprägender Wirkung gar nicht erst zu reden.
Und auch in der Hochliteratur besetzen wir mit Houllebecq die zeitgenössische Spitze.
Jedes Computerspiel lebt vom Antagonismus verschiedener Parteien.
Also, da war schon einiges vorhanden. Nur: gebracht hat es ja letztlich nichts. Scheinbar hat Gramsci da doch nicht den heiligen Gral gefunden. Das bestätigt sich ja auch dadurch, dass die 68er letztlich ihre spezifischen Ziele auch nicht unbedingt verwirklichen konnten.
Ehrlich gesagt finde ich zur IB in dem Text kaum etwas, was nicht irgendwann / irgendwo / irgendwie bereits von Sellner & Co (selbst-)kritisch eingeräumt worden wäre. Natürlich läßt sich eine “kulturelle Bewegung” nicht “künstlich”, schon gar nicht gegen den Zeitgeist entfachen. Die Gründe für den Mangel an “kultureller Spannkraft” zu erläutern, würde bedeuten, dem Defätismus Vorschub zu leisten.
Problematischer als die von einigen beklagte, im Kern aber zutreffende Kritik an der IB finde ich die Verklärung der “Kulturrevolution” der 68er/Linken, die nun wirklich mehr Ausdruck herrschenden Zeitgeists war als “metapolitisch” wirksame Initiierung einer “Gegenkultur”. Was da “gesiegt” hat, bzw. zugelassen wurde (und teils sogar gezüchtet), hat sich durchgesetzt, weil und insofern sich dadurch vielversprechende neue Geschäfts- und Gesellschaftsmodelle ergaben.
Daß sich mit den “Grünen” auch “Staat machen” ließ — und zwar in dem Maße, in dem diese bereit waren, ihre “fundamentaloppositionellen” Überzeugungen zum Teufel zu jagen, zeichnete sich erst in den 1990er Jahren ab — und wurde prompt benutzt, um (innenpolitisch) alten Staat und (außenpolitisch) US-Interessen durchzusetzen. Bei gleichzeitiger Minimierung oppositionellen Widerstands, der unter einer “konservativen” Regierung mit derselben Agenda ungleich höher ausgefallen wäre. Ein altes Rezept: den Gegener zum Mitwisser oder gar Mittäter machen.
Wenn das nun als “Vorbild” für die AfD oder gar die “neue Rechte” herhalten soll, erschiene mir das “Ich-hab’s‑gewagt”-Scheitern der IB vergleichsweise noch ausgesprochen ehrenvoll. Denn immerhin spiegelt sich in ihm wenigstens dem Anspruch nach, daß der Begriff “neue Rechte” ja nicht etwa nur eine “historische” oder rein “chronologische” Bedeutung hat. Auch keine “rein taktische”, wie mancher Rechte im Verbund mit der Antifa zu wissen meint.
Zu den Leuten, die dem “alten Staat” in einigen Jahren mit der AfD und Ayn Rand im Tornister die Kastanien aus dem Feuer holen wollen, gehöre ich nicht. Wobei ich es übrigens für neckisch, aber abwegig halte, ausgerechnet Ayn Rand als Beispiel für erfolgreiche Metapolitik anzuführen. Als wäre ihre “uramerikanische” Idee vom Kapitalismus in den 1950er Jahren irgendwie “gegenkulturell” gewesen oder hätte erst mit langem Atem als die Muttermilch profitorientierter Denkungsart “durchgesetzt” werden müssen in einer Umgebung, die so etwas wie eine Krankenversicherung heute noch als sozialistisches Teufelszeug strikt ablehnt. Jedenfalls sofern man nicht zu denen gehört, die dahinter ein gutes Geschäft zu wittern vermögen…
Das beschäftigte mich schon seit meiner Jugend, warum seit der Französischen Revolution die Rechten eigentlich immer verlieren.
Die Antwort fand ich in der traditionellen Zyklenlehre, wie sie on R. Guénon und von J. Evola dargestellt wurde ( ersterer neuerdings, letzterer schon immer in Deutsch erhältlich). Am Ende des Zyklus’ ( Kali-Yuga) MÜSSEN die minderwertigsten Potentialitäten, die im Zyklus enthalten sind, in Aktion treten. An sich nichts Neues, schon bei Hesiod und bei Daniel nachzulesen, aber durch das Fortschrittsdenken ab dem 18. Jhdt. in Vergessenheit geraten.
Star Wars ist ziemlich links: es geht darum das Universum unter der “Macht” zu einen! Und damit ist es sogar mehr als okkult!