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Styler Ornament

Kritik der Metapolitik

Styler Ornament

oder: wieso Rechte immer verlieren

P r o l o g: Ist die Neue Rech­te geschei­tert? Mein zuge­ge­be­ner­ma­ßen recht dras­tisch for­mu­lier­ter Twit­ter-Thread dahin­ge­hend hat­te vor eini­ger Zeit rege Dis­kus­sio­nen aus­ge­löst. Dies wie­der­um führ­te zu einem The­men­schwer­punkt glei­chen Titels im hoch­am­bi­tio­nier­ten “Kon­flikt Maga­zin”, zu des­sen Mit­ar­beit ich von der Redak­ti­on ein­ge­la­den wur­de. Das Ergeb­nis aller­dings stieß auf wenig Gegen­lie­be und das Maga­zin ver­wei­ger­te die Veröffentlichung.
Über die Grün­de mag ger­ne jeder selbst spe­ku­lie­ren und viel­leicht sind sie gar nicht im Text selbst begrün­det. Doch spie­gelt sich in die­sem Vor­gang natür­lich eine grund­sätz­li­che Schi­zo­phre­nie wie­der, die mich schon wäh­rend des Schrei­bens über beglei­tet hat: an wen eigent­lich rich­tet sich die­ser Text? Ich weiß es offen gestan­den selbst nicht. Was mir vor eini­gen Jah­ren noch (sie­he mein gutes altes “Kon­zept”) als Poten­ti­al­raum eines geis­ti­gen Auf­bruchs erschien, wirkt heu­te wie ein halb­to­ter Esel, bei dem man nicht weiß, ob ein beherz­ter Tritt ihn wie­der auf die Bei­ne oder ins Grab brin­gen wird. 
Den­noch, so scheint es mir zumin­dest, liegt in der vor­lie­gen­den Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kon­zept der “Meta­po­li­tik” eine wich­ti­ge Ant­wort — nicht auf die Fra­ge, ob die Neue Rech­te geschei­tert ist, son­dern wes­halb sie schei­tert und höchst­wahr­schein­lich auch wei­ter schei­tern wird. Dar­über­hin­aus ent­fal­tet der Text über tages­po­li­ti­sche Fra­gen hin­aus einen inter­es­san­ten Ansatz, um das Ver­hält­nis von ratio­na­len und irra­tio­na­len Aspek­ten im Ent­ste­hen und Bestehen von Kul­tur, wie auch die Fra­ge, was Eli­ten über­haupt zu Eli­ten macht, zu unter­su­chen, der im Rah­men des vor­lie­gen­den The­mas kaum aus­ge­schöpft wird. Des­halb erscheint er nun auf mei­ner eige­nen Sei­te. Möge er irgend­je­man­dem mehr Glück brin­gen als mir, dem das klas­si­sche Schick­sal des Über­brin­gers schlech­ter Nach­rich­ten zuteil wurde.

Aus der Unter­schei­dung zwi­schen poli­ti­scher Gesell­schaft und bür­ger­li­cher Gesell­schaft ent­wi­ckelt Anto­nio Gram­sci die Unter­schei­dung von Poli­tik und Meta­po­li­tik. Wenn Poli­tik das kon­kre­te Aus­han­deln und Voll­zie­hen gemein­schaft­li­cher Ent­schei­dun­gen bezeich­net, so drückt in der bür­ger­li­chen Gesell­schaft sich der Bestand an Wer­ten, Hal­tun­gen, Welt­an­schau­un­gen aus, die in ihrer Wirk­sam­keit die Aus­rich­tung der Poli­tik bestim­men. “Eine sozia­le Grup­pe kann oder muss sogar füh­rend sein, bevor sie die Regie­rungs­ge­walt erobert”, schreibt Gram­sci, als Fol­ge­rung aus diver­sen geschei­ter­ten Macht­er­grei­fungs­ver­su­che der Kom­mu­nis­ten in Euro­pa. Auch eine erfolg­rei­che Revo­lu­ti­on wäre also wahr­schein­lich nur kurz­le­big, sofern der welt­an­schau­li­che Kon­sens ihr feind­lich geson­nen sei.

Daß die zeit­ge­nös­si­sche Rech­te hier hell­hö­rig wird, ist nach­voll­zieh­bar, muss­te sie doch die Erfah­rung machen, daß auch die demo­kra­tisch errun­ge­nen Wahl­sie­ge der letz­ten Jah­re sich als ledig­lich kurz­le­big erwie­sen. Donald Trump gewann die Mehr­heit der ame­ri­ka­ni­schen Wäh­ler, die dann doch nur mit­er­le­ben durf­ten, wie die­ser im Gegen­satz zu sei­nen Vor­gän­gern vom ers­ten Tag an bekämpft, dämo­ni­siert, als blo­ßer Irr­tum der Geschich­te, der schnellst­mög­lich kor­ri­giert wer­den müs­se, kom­mu­ni­ziert wur­de. Ver­gleich­ba­re Erfah­run­gen mach­ten rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en in Euro­pa, FPÖ, Lega Nord, AfD, Ras­sem­ble­ment Natio­nal — ihr poli­ti­scher Erfolg, ihr Zuspruch bei den Wäh­lern steht in einem bemer­kens­wer­ten Kon­trast zur Ableh­nung einer dif­fu­sen, schwer zu bestim­men­den “Öffent­lich­keit” und wird dadurch ste­tig unter­gra­ben. (Wäh­rend umge­kehrt bei­spiels­wei­se über die deut­schen Grü­nen trotz Ergeb­nis­sen im ein­stel­li­gen Bereich seit Jahr­zehn­ten eine äußerst wohl­wol­len­de Bericht­erstat­tung erfahren.)

Eine Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen poli­ti­scher und bür­ger­li­cher Gesell­schaft kann die­ses Phä­no­men erklä­ren: in der Per­son Trump kamen offen­kun­dig Inhal­te zur poli­ti­schen Herr­schaft, die mit dem herr­schen­den Wer­te­kon­sens nicht über­ein­stimm­ten. Damit also Wahl­sie­ge tat­säch­lich sub­stan­zi­el­le Ver­än­de­run­gen nach sich zie­hen kön­nen, muss bereits vor­her eine Ver­än­de­rung des Wer­te­kon­sens erreicht wer­den. In die­sem Sin­ne hat sich inner­halb der Neu­en Rech­ten eine Unter­schei­dung zwi­schen “Poli­tik” und “Meta­po­li­tik” eta­bliert, wobei zwei­te­res als eigent­lich Aus­schlag­ge­ben­des, einer mög­li­chen Poli­tik immer Vor­an­ge­hen­des, im Mit­tel­punkt steht.

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Meta­po­li­tik also will das Wer­te­sys­tem der Gesell­schaft ver­schie­ben, aus­ge­drückt im Bild des soge­nann­ten “Over­ton-Fens­ter”, das den Bereich der gesell­schaft­lich eta­blier­ten Moral aus­drückt. Erst dadurch wird mit Wahl­er­fol­gen nicht ledig­lich ein kurz­fris­ti­ges Brem­sen, son­dern auch ein Wan­del, ein sub­stan­zi­el­les Umsteu­ern möglich. 

Doch nun die ent­schei­den­de Fra­ge: wie ist meta­po­li­ti­scher Erfolg zu errei­chen? Bei Gram­sci selbst bleibt es noch vage: “Appell an das Volks­emp­fin­den, die Umwer­tung der herr­schen­den Wer­te, die Schaf­fung “sozia­lis­ti­scher Hel­den”, die För­de­rung des Thea­ters, der Folk­lo­re, des Gesangs, etc.” Benoist steigt schon etwas tie­fer hin­ab: “Hin­zu kommt die wach­sen­de Bedeu­tung der Frei­zeit, die der Kul­tur einen grö­ße­ren Platz ein­räumt, und die Ver­brei­tung bestimm­ter The­men und bestimm­ter Wer­te erleich­tert. Und auch die, eben­falls anwach­sen­de, Anfäl­lig­keit der öffent­li­chen Mei­nung für eine meta­po­li­ti­sche Bot­schaft, wobei letz­te­re umso wir­kungs­vol­ler ist und umso bes­ser auf­ge­nom­men wird, als ihr direk­ter und sug­ges­ti­ver Cha­rak­ter nicht klar als sol­cher erkannt wird und folg­lich nicht auf die­sel­ben ratio­na­len und bewuß­ten Wider­stän­de stößt wie eine Bot­schaft mit einem direkt poli­ti­schen Cha­rak­ter. Die gan­ze Macht der Schau­spie­ler und der Vor­füh­run­gen, der Unter­hal­tung und der Moden liegt im Übri­gen in die­sem letzt­ge­nann­ten spe­zi­fi­schen Zug begrün­det, und zwar inso­fern ein Roman, ein Film, ein Thea­ter­stück, eine Fern­seh­sen­dung, etc. auf lan­ge Sicht poli­tisch umso wir­kungs­vol­ler sind, als man sie zu Beginn nicht als poli­tisch erkennt, sie aber eine lang­sa­me Ent­wick­lung, eine lang­sa­me Ver­schie­bung der Men­ta­li­tä­ten von einem Wertsstem in Rich­tung auf ein ande­res ver­ur­sa­chen.” (Alain de Benoist, Kul­tur­re­vo­lu­ti­on von rechts)

Das Mit­tel des Wan­dels ist also grob gesagt mit dem Begriff der “Kul­tur” zu bezeich­nen, wobei Gram­sci noch an die tra­di­tio­nel­le Volks­kul­tur denkt, Benoist bereits an die Mas­sen­kul­tur der Gegen­wart. Fein­sin­nig erkennt Benoist auch die Schwie­rig­keit, ein Wer­te­sys­tem zu beein­flus­sen: ist die pro­pa­gan­dis­tisch-poli­ti­sche Moti­va­ti­on hin­ter einem Kul­tur­werk zu offen­sicht­lich, wird es, als auf­dring­lich oder mani­pu­la­tiv emp­fun­den, eben­falls abge­lehnt. Im Begriff der Meta­po­li­tik öff­net sich dem­entspre­chend der Blick auf den vor-ratio­na­len Maschi­nen­raum der Gesell­schaft: Das kol­lek­tiv Unter- oder Über­be­wuß­te als freud­sches “Über-Ich” oder hei­deg­ger­sches “Man”, der Vor­gang der Wer­te­ge­ne­se selbst, der eine bestimm­te Auf­fas­sung des Guten, Wah­ren und Edlen her­vor­bringt, die schließ­lich in einer Gesell­schaft als iden­ti­täts­bil­dend gepflegt und ver­tei­digt werden. 

Das Over­ton-Fens­ter ist also weni­ger der Bereich des “Sag­ba­ren” selbst, son­dern viel­mehr der Bereich von Inhal­ten, die als Argu­men­te aner­kannt und sach­lich dis­ku­tiert wer­den. Liegt das Gesag­te außer­halb, fin­det eine emo­tio­na­le Abwehr­rea­ti­on statt, der Inhalt wird zwar rezi­piert, doch kaum mehr wirk­lich dis­ku­tiert, viel­mehr ange­wi­dert zurück­ge­wie­sen. Die Gren­zen des Over­ton-Fens­ters wer­den durch die vor­herr­schen­de Moral fest­ge­legt, wobei die Moral selbst wie­der­um — im Gegen­satz zu klas­sisch auf­klä­re­ri­schen Vor­stel­lun­gen — nicht ratio­nal und ver­stan­des­mä­ßig geschaf­fen wird, son­dern in einer tie­fe­ren Schicht des Mensch­seins lebt, zu der es nun hin­ab­zu­stei­gen gilt. 

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Wie sähe theo­re­tisch erfolg­rei­che Meta­po­li­tik aus? Dazu ein Bei­spiel. Der Roman “Atlas Shrug­ged” von Ayn Rand ist hier­zu­lan­ge weit­ge­hend unbe­kannt. In den USA hin­ge­gen erreich­te bei einer Umfra­ge, wel­ches Buch das eige­ne Leben am meis­ten beein­flußt hät­te, “Atlas Shrug­ged” den zwei­ten Platz hin­ter der Bibel, es zählt dort zu den ein­fluß­reichs­ten Wer­ken des 20. Jahr­hun­derts. Der Roman han­delt, grob gesagt, von der Erbin einer Eisen­bahn­ge­sell­schaft, die ihr Unter­neh­men inno­va­tiv vor­an­treibt, wäh­rend sie gegen Sozia­lis­ten kämpft, die Unter­neh­mer ent­eig­nen wol­len und einer geheim­nis­vol­len Ver­schwö­rung auf die Spur kommt. Es ist aller­dings nicht die mit durch­aus inter­es­san­ten Sci­ence-Fic­tion-Ele­men­ten ange­rei­cher­te Geschich­te an sich, wodurch das Buch das Leben vie­ler beein­fluß­te, son­dern die mit­tels der Geschich­te trans­por­tier­te Welt­an­schau­ung. Die­se ist eigent­lich nicht über­mä­ßig sym­pa­thisch, zumin­dest aus der Sicht von Men­schen, die das Buch nicht gele­sen haben: ein rabia­ter Lais­sez-Fai­re-Kapi­ta­lis­mus, der Ego­is­mus zur Tugend erklärt und phi­lo­so­phisch einen nai­ven Objek­ti­vis­mus ver­ficht, wäh­rend sozia­lis­tisch-christ­li­che Idea­le wie Soli­da­ri­tät, sozia­le Gerech­tig­keit, Mit­ge­fühl und Selbst­lo­sig­keit zur Wur­zel allen Übels auf der Welt erklärt wer­den. “Ich schwö­re, dass ich nie­mals zum Wohl eines Ande­ren leben wer­de und nie­mals von einem Ande­ren ver­lan­gen wer­de, für mein Wohl zu leben.“

Jedoch scheint es Ayn Rand gelun­gen zu sein, mit­tels der von ihr erson­ne­nen Cha­rak­te­re und Hand­lungs­ab­läu­fe den Leser auf eine leben­dig-emo­tio­na­len Wei­se mit­zu­reis­sen, wie das die blo­ße Theo­rie wohl nicht ver­mocht hät­te. Die edlen Kapi­ta­lis­ten, die ver­kom­me­nen Sozia­lis­ten und die schäd­li­che Wir­kung des Mit­leids schil­dert sie so ein­dring­lich und über­zeu­gend, daß sie auf eine bestimm­te Wei­se im Kopf des Lesers “wahr”, also sicht­bar, greif­bar, fühl­bar wer­den. “Atlas Shrug­ged” scheint imstan­de, dem Leser eine neue Wirk­lich­keit zu erzeu­gen, sein bestehen­des Welt­bild durch die Lek­tü­re völ­lig umzu­krem­peln. Es besitzt als Kunst­werk eine Qua­li­tät, die imstan­de ist, den typi­scher­wei­se in unse­rer Gesell­schaft nega­tiv kon­no­tier­ten “Ego­is­mus” in etwas Posi­ti­ves, Schö­nes, Inspi­rie­ren­des, vor Kraft, Klug­heit und Zukunft nur so Strot­zen­des zu ver­wan­deln. Der Blick vie­ler Leser auf die Welt ist nach der Lek­tü­re ein ande­rer, und sie sind dem Buch dafür sogar noch dank­bar, weil die­ser Blick ihnen als der bes­se­re erscheint. Und das sorgt schließ­lich auch für poli­ti­sche Ergeb­nis­se — die für Euro­pä­er so unver­ständ­li­che Ableh­nung einer gesetz­li­chen Kran­ken­kas­se in den USA soll tat­säch­lich auf den Ein­fluß von Ayn Rand zurückgehen. 

Besitzt auch Anhän­ger in der AfD: Ayn Rand.

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Ver­gleicht man nun “Atlas Shrug­ged” mit der Akti­on “Defend Euro­pe” der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung, wird eines deut­lich: die Neue Rech­te spricht unun­ter­bro­chen von Meta­po­li­tik, doch eigent­lich betreibt sie kei­ne, weil sie einer Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on anhängt. Wäh­rend Meta­po­li­tik eigent­lich bedeu­tet, Wer­te als Aus­druck von Kul­tur durch das Schaf­fen von neu­en, kul­tu­rel­len Wer­ken zu ver­än­dern, wird der Begriff von Rech­ten zumeist ledig­lich im Sinn von “nicht­par­la­men­ta­ri­schem, poli­ti­schem Akti­vis­mus” auf­ge­fasst. Die Iden­ti­tä­re Bewe­gung als bekann­tes­ter Prot­ago­nist bei­spiels­wei­se nennt ihren Akti­vis­mus “Meta­po­li­tik” und ver­folgt damit das Ziel, das Mei­nungs­kli­ma zu ver­än­dern. Doch sie adres­siert dabei die Gesell­schaft poli­tisch, nicht meta­po­li­tisch, pla­ziert also schlicht ihre poli­ti­schen Zie­le und Inhal­te in der Öffentlichkeit.

Eine Akti­on wie “Defend Euro­pe” ver­fehlt des­halb die meta­po­li­ti­sche Ebe­ne voll­ends. Sie popu­la­ri­siert durch auf­se­hen­er­re­gen­de Durch­füh­rung die Tat­sa­che, daß über das Mit­tel­meer mas­sen­haf­te ille­ga­le Migra­ti­on statt­fin­det. Doch das Popu­la­ri­sie­ren allei­ne ver­än­dert die herr­schen­de Moral nicht. Viel­mehr wird das Tun durch den Fil­ter der herr­schen­den Moral rezi­piert, wes­halb die Iden­ti­tä­ren ledig­lich als Unmen­schen wahr­ge­nom­men wer­den, die unge­rührt dabei zuse­hen wol­len, wie unzäh­li­ge Ver­zwei­fel­te im Mit­tel­meer ertrin­ken oder im Elend des afri­ka­ni­schen Kon­ti­nents dahinsiechen.

Die Neue Rech­te neigt fälsch­li­cher­wei­se dazu, das Over­ton-Fens­ter als Inhalts-Fens­ter auf­zu­fas­sen, in das ein­fach Inhal­te durch media­le Auf­merk­sam­keit hin­ein­ge­sto­ßen wer­den sol­len. Sinn­vol­ler wäre es aller­dings, es sich als Scha­blo­ne, als jen­seits der blo­ßen Inhal­te ver­an­ker­tes Beur­tei­lungs­sys­tem, vor­zu­stel­len. Ein ein­fa­ches Rezi­pie­ren von als ver­werf­lich wahr­ge­nom­me­nen Inhal­ten kann es also kaum erschüt­tern. Die Iden­ti­tä­re Bewe­gung kann hun­dert­mal mit einem “Stoppt den Gro­ßen Aus­tausch” Ban­ner in der FAZ erschei­nen. Solan­ge die Aus­sa­ge selbst aber als wider­lich ange­se­hen wird, wird das kulturell/metapolitisch nicht mehr ver­än­dern als ein Auf­ruf zur Lega­li­sie­rung von Kan­ni­ba­lis­mus. Ihre Inhal­te wer­den viel­mehr inner­halb des Rah­mens des bestehen­den Mei­nungs­kli­mas rezi­piert, und dann — wie auch bei Trump in den USA — unter der Öffent­lich­keits-Lin­se lang­sam zer­mürbt und zer­schmol­zen, wäh­rend es nie­mand wagt, den Tabu­bre­chern zur Hil­fe zu eilen. 

Ähn­lich ver­hält es sich mit den meis­ten ande­ren rech­ten, akti­vis­ti­schen Pro­jek­ten der Gegen­wart: sie bean­spru­chen den Begriff der “Meta­po­li­tik” bie­ten aber eben­falls ledig­lich poli­ti­sche Inhal­te in einem außer­par­tei­lich orga­ni­sier­ten Rah­men, im bes­ten Fall gra­fisch oder musi­ka­lisch umrahmt. “Hei­mat Defen­der” bei­spiels­wei­se ist auf den ers­ten Blick als poli­tisch-ideo­lo­gi­sches Mar­ke­ting­pro­dukt erkenn­bar, es dient in sei­ner iro­ni­schen Auf­ma­chung samt Insi­der­wit­zen ledig­lich der rech­ten Sze­ne selbst als kurz­wei­li­ge Belus­ti­gung, die meta­po­li­ti­sche Wir­kung dage­gen, eine Ver­än­de­rung des Mei­nungs­kli­mas, eine Nor­ma­li­sie­rung rech­ter Posi­tio­nen, bleibt aus. 

In die­sem Sinn schei­tert die Pseu­do-Meta­po­li­tik auf die letzt­lich glei­che Wei­se wie der ger­ne geschmäh­te Par­la­ments­pa­trio­tis­mus: sie bleibt abhän­gig von dem, was die Herr­scher über das Mei­nungs­kli­ma zulas­sen, wäh­rend sie es selbst nicht ver­än­dert, son­dern ledig­lich als belang­lo­ser Stö­ren­fried, viel­leicht sogar als nütz­li­ches Requi­sit zur emo­tio­na­len Mobi­li­sie­rung der Mas­sen (“Kein Ver­ges­sen!” “Wir sind mehr!”, “FCKAFD”) dient. (Der Abstieg der AfD begann mit dem Mes­ser­mord in Chem­nitz.) Dadurch wird die falsch ver­stan­de­ne “Meta­po­li­tik” zu einer bes­se­ren Beschäf­ti­gungs­the­ra­pie, der einem klei­nen Kreis von bla­sier­ten Außen­sei­tern das Gefühl gibt, die Eli­te von mor­gen zu sein, wäh­rend die Wirk­lich­keit an ihnen vorbeizieht. 

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Ein wei­te­res Bei­spiel, um zu zei­gen, wie erfolg­rei­che Gegen­kul­tur in der Pra­xis aus­se­hen könn­te, sind die 68er. Die Rech­te neigt dazu, den Erfolg der 68er als genia­le, sub­ver­si­ve Stra­te­gie der Unter­wan­de­rung, des “Mar­sches durch die Insti­tu­tio­nen”, als plan­vol­les, immer bereits nach poli­ti­scher Macht stre­ben­des Vor­ge­hen auf­zu­fas­sen. Damit pro­ji­ziert sie zum einen nur das eige­ne, klein­ka­rier­te Den­ken hin­ein, zum ande­ren wird damit auch der Weg ver­stellt, um den tat­säch­li­chen meta­po­li­ti­schen Mahl­strom der 68er zu ver­ste­hen. In Wahr­heit begin­nen die 68er bereits in den 50er Jah­ren mit der ame­ri­ka­ni­schen Beat Lite­ra­tur, Autoren wie Allen Gins­berg, Jack Kerou­ac, Wil­liam Bur­roughs, die als Außen­sei­ter radi­kal aus der Fad­heit des dama­li­gen Ame­ri­ka aus­zu­bre­chen suchen, durch Kunst, durch Dro­gen, durch Sex, durch den eksta­ti­schen Jazz der Schwar­zen, durch fern­öst­li­che Spi­ri­tua­li­tät. Unter ande­rem dar­aus ent­steht die Hip­pie-Bewe­gung an der ame­ri­ka­ni­schen West­küs­te als sub­kul­tu­rel­les Phä­no­men der ame­ri­ka­ni­schen Jugend, die schließ­lich in den 60ern in den gro­ßen, iko­ni­schen Bil­dern mün­det, die bis heu­te in unzäh­li­gen Kunst­wer­ken, Roma­nen, Spiel­fil­men, Doku­men­ta­tio­nen und Musik­stü­cken eine unge­min­der­te Anzie­hungs­kraft aus­üben: Woods­toock, wo 400 000 Men­schen 3 Tage lang ein neu­es Lebens­ge­fühl fei­ern, wäh­rend ein Genie wie Jimi Hen­drix mit sei­nen revo­lu­tio­nä­ren Gitar­ren­spiel die ame­ri­ka­ni­sche Hym­ne künst­le­risch ent­frem­det, für sei­ne Bewe­gung ver­wan­delt. Jun­ge ame­ri­ka­ni­sche Sinn­su­cher, die nach San Fran­cis­co zie­hen, in Kom­mu­nen nach alter­na­ti­ven Lebens­ent­wür­fen for­schen, bunt bemal­te VW-Bus­se, Medi­ta­ti­on, Bewußt­s­eins­er­wei­te­rung, sogar die Beat­les fah­ren nach Indi­en zur Tran­szen­den­ta­len Medi­ta­ti­on und ihr Spät­werk ist ohne psy­che­de­li­sche Hip­pie-Ein­flüs­se kaum denk­bar. Die rie­si­gen Demons­tra­tio­nen gegen den Viet­nam­krieg. “Image all the peop­le sharing all the world” — die begna­des­ten Künst­ler jener Zeit sind Teil die­ser Bewe­gung, oder viel­leicht wer­den sie erst dadurch zu die­sen begna­de­ten Künst­lern, indem sie aus der Auf­bruchs­stim­mung der Bewe­gung her­aus, der Eupho­rie einer anbre­chen­den neu­en Zeit, ihren eige­nen, eigen­wil­li­gen, heu­te iko­ni­schen Aus­druck schaffen. 

Die 68er als poli­ti­sche Bewe­gung ent­ste­hen erst spä­ter, Stu­den­ten, jun­ge Intel­lek­tu­el­le, Kom­mu­nis­ten, die am Ende aus der gegen­kul­tu­rel­len Ener­gie eine poli­ti­sche Pro­gram­ma­tik zim­mern. Doch die eigent­li­che meta­po­li­ti­sche Sub­stanz, das Ethos, die Strahl­kraft, das Anzie­hen­de und Vor­bild­haf­te der 68er liegt nicht in den ver­härm­ten K‑Grup­pen-Bril­len­trä­gern und ver­spon­ne­nen fran­zö­si­schen Post­struk­tu­ra­lis­ten, die in den 70ern dann über­neh­men und einen neu­en Gesell­schafts­ent­wurf in die Uni­ver­si­tä­ten tra­gen. (Inter­es­sant dazu: Camil­le Paglia und Jor­dan Peter­son über die 68er.)

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Beim Roman “Atlas Shrug­ged” und der Hip­pie-Bewe­gung han­delt es sich zunächst ein­mal um sehr unter­schied­li­che Phä­no­me­ne. Umso inter­es­san­ter ist die Fra­ge, was sie im Inne­ren ver­bin­det, was ihnen ihre Wirk­sam­keit ver­leiht. Natür­lich ist ein Roman nicht “real” im mate­ri­el­len Sinn: daß der Mensch durch die Phan­ta­sie­bil­der in sei­nem Kopf wäh­rend des Able­sens abs­trak­ter Zei­chen auf einem Blatt Papier eine Wir­kung emp­fängt, die der­ma­ßen prä­gend und tief in sei­ne See­le hin­ab­reicht, daß sie imstan­de ist, die Grund­la­gen sei­ner Welt­sicht zu ver­än­dern, ist für sich genom­men schon fas­zi­nie­rend. Bedenkt man aller­dings, daß einer­seits die Hip­pie-Bewe­gung auch pri­mär über Medi­en rezi­piert wird, ande­rer­seits trau­ri­ge Fil­me bekannt­lich durch­aus zu Trä­nen rüh­ren kön­nen, weil der Mensch auch gegen­über Fan­ta­sie­fi­gu­ren (ja, sogar in Fil­men über Zau­be­rer oder Tier-Ani­ma­ti­ons­fi­gu­ren) imstan­de ist, Empa­thie zu ent­wi­ckeln, nähert sich die Rezep­ti­on wie­der an.

Was sie also jen­seits des for­mel­len Unter­schieds von fik­ti­ver und his­to­ri­scher Rea­li­tät in ihrer Wirk­sam­keit eint, ist, daß sie ihre Prin­zi­pi­en, das, was sie als Ethos in die Welt tra­gen wol­len, nicht als Theo­rie vor­tra­gen, son­dern mit­tels Per­so­nen und Ereig­nis­sen als geleb­tes Dasein ver­kör­pern. Wobei die­se Kon­kre­ti­on wie­der­um nur Sinn­bild ist für ein höhe­res Prin­zip, das durch die indi­vi­du­el­le Erschei­nung hin­durch und über sie hin­aus­rei­chend aus­ge­drückt wird. John Len­non (oder Dagny Tag­gart, die kapi­ta­lis­ti­sche Haupt­fi­gur bei “Atlas Shrug­ged”) wird an dem Punkt zu Meta­po­li­tik, wo ihr Leben eine Art sym­bol­haf­ter Durch­sich­tig­keit, eine Meta-Rea­li­tät erhält. Sie sind nicht mehr nur das was sie sind, in ihnen drückt sich ein Prin­zip, ein Lebens­ent­wurf, die Ver­kör­pe­rung eines All­ge­mei­nen aus. Sie ste­hen nicht nur an einem bestimm­ten Ort, sie ste­hen für eine Idee, ihr Dasein erhält eine über­zeit­li­che, tran­szen­den­te Dimen­si­on. In die­ser sym­bo­li­schen Ver­kör­pe­rung wohnt The­se und Beweis in einem, es ist Vor-Bild in dem Sinn, den in archai­sche­ren Zei­ten der Mythos, das Ritu­al, der Hel­den- und Göt­ter­kult hatte. 

Im vor­lie­gen­den Kon­text kön­nen wir Mythos als “Ethik” auf­fas­sen. Nur eben im Gegen­satz eines moder­nen Begriffs von Ethik nicht als ratio­na­ler, also abs­trakt-logi­scher Pro­zess, son­dern in der Ver­wand­lung des eige­nen Wesens durch die Kraft des Sym­bols, das die neue Wirk­lich­keit in uns selbst schafft. Wir grü­beln hier kei­ne Sekun­de lang über Tau­to­lo­gien, Begrif­fe und inne­re Wider­sprü­che, wir zie­hen kei­ne Beweis­füh­rung nach, son­dern wir sehen, bei einer Wood­stock-Doku­men­ta­ti­on, in der Musik eines The Doors Albums oder beim Lesen von “Atlas Shrug­ged” das Wah­re als Wirk­li­ches vor uns. Es über­zeugt uns nicht auf intel­lek­tu­el­ler Ebe­ne, es ergreift uns, bekehrt uns.

Jedoch — was nun sehr spi­ri­tu­ell klingt und auch sehr spi­ri­tu­ell ist, ist in ver­wäs­ser­ter Form auch Teil unse­rer All­tags­kul­tur. Eine Jeans bei­spiels­wei­se ist ratio­nal betrach­tet nur ein Stück Stoff, das gewis­sen funk­tio­na­len Ansprü­chen genü­gen soll. Doch zeigt man es uns im Wer­be­spot, getra­gen von einem per­fekt aus­se­hen­den Men­schen, der damit, insze­niert in inten­si­ver Video­clip-Ästhe­tik, eine Par­ty­nacht im cools­ten Unter­grund­club der Stadt fei­ert, wäh­rend die schöns­ten Frau­en sich um sei­nen Hals räkeln, dann wer­den auf ver­gleich­ba­re Wei­se die ratio­na­len Fak­to­ren hin­ein­ge­wo­ben in eine Welt aus Bil­dern, Asso­zia­tio­nen, Wunsch­träu­men, Lebens­wel­ten, poten­ti­el­len Selbst­ent­wür­fen. Wir kau­fen im Laden dann nicht ledig­lich eine Hose, son­dern stil­len das Ver­lan­gen, Teil der im Wer­be­spot gezeig­ten Wirk­lich­keit zu wer­den. Es exis­tiert mitt­ler­wei­le eine umfang­rei­che For­schung dahin­ge­hend, inwie­fern in der heu­ti­gen Mas­sen­kul­tur, in der Rezep­ti­on von Bands und Sän­gern, von Fil­men und Schau­spie­lern, von Wer­be­clips und Mar­ken letzt­lich die eigent­lich längst ver­schol­len geglaub­ten Mus­ter mytho­lo­gi­scher Wirk­sam­keit zum Tra­gen kom­men. (Nur machen sie uns heu­te nicht mehr zu Hel­den, son­dern zu Konsumenten.)

* * *

Und damit schließt sich letzt­lich der Kreis, und wir sind wie­der bei der Meta­po­li­tik als der Fra­ge, inwie­fern sich kul­tu­rell eta­blier­te Wer­te­sys­te­me ver­än­dern las­sen. Jedoch ist im Durch­schrei­ten des Krei­ses die Beschaf­fen­heit von Wer­te­sys­te­men wie auch die Beschaf­fen­heit des­sen, was sie zu ver­än­dern ver­mag, anschau­li­cher gewor­den. Wenn in die­sem Sin­ne die sym­bo­lisch-vor­bild­haf­te Ver­kör­pe­rung von Wer­te­prin­zi­pi­en getrennt betrach­tet wird von der ratio­na­len Inhalts­ebe­ne, las­sen sich für die aktu­el­le oppo­si­tio­nel­le Situa­ti­on dar­aus mei­nes Erach­tens eini­ge Erkennt­nis­se ableiten. 

I: Ratio­na­li­tät

Ent­ge­gen des bis­her Vor­ge­brach­ten hal­te ich das klas­si­sche, ratio­na­le Argu­men­tie­ren in keins­ter Wei­se für ver­geb­lich. Es ist ledig­lich not­wen­dig, sich die Gren­zen sei­ner Wirk­sam­keit, sei­ne Dif­fe­renz zum Kern von Meta­po­li­tik zu vergegenwärtigen. 

Was die Mög­lich­keit zur Ver­än­de­rung des Wer­te­sys­tems betrifft, gibt es im aka­de­mi­schen, intel­lek­tu­el­len Bereich durch­aus Köp­fe, die sich so weit eine ratio­na­le geis­ti­ge Dis­zi­plin ange­eig­net haben, daß sie gewillt sind, Over­ton-Über­schrei­ten­des, die gän­gi­gen Hal­tun­gen Hin­ter­fra­gen­des sach­lich zu dis­ku­tie­ren. Die­se Men­schen sind nicht zahl­reich, doch sie haben teil­wei­se gro­ßen, gesell­schaft­li­chen Ein­fluß. Lei­der exis­tiert bis dato kaum eine gegen­kul­tu­rel­le For­schung auf aka­de­mi­schem Niveau, im Gegen­teil sorgt die lin­ke Hege­mo­nie viel­mehr dafür, daß bei­spiels­wei­se kri­ti­sche Dok­tor­ar­bei­ten über Migra­ti­on, Islam, Libe­ra­lis­mus, Gen­der Stu­dies oder Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus gar nicht erst abge­fasst wer­den können. 

Dar­über­hin­aus ist Ratio­na­li­tät inner­halb des Over­ton-Fens­ters wirk­sam, und das ist gar nicht so schmal, wie oft­mals geglaubt wird. Wenn bei­spiels­wei­se in Deutsch­land die ille­ga­le Migra­ti­on über das Mit­tel­meer im Rah­men der eta­blier­ten uni­ver­sa­lis­tisch-huma­ni­tä­ren Moral gut­ge­heis­sen wird, kann bereits in die­sem Rah­men gezeigt wer­den, daß die­se Form der Migra­ti­on nur die Reichs­ten und kör­per­lich Durch­set­zungs­fä­higs­ten nach Euro­pa bringt. Wie auch die Flücht­lings­auf­nah­me 2015 neben Unmen­gen an Glücks­rit­tern pri­mär die syri­sche Ober­schicht, die sich die hohen Schlep­per­kos­ten leis­ten konn­ten, in den beque­men, deut­schen Sozi­al­staat half, wäh­rend die tat­säch­lich armen Syrer teil­wei­se ihre Töch­ter an rei­che, tür­ki­sche Biga­mis­ten ver­kau­fen muss­ten, um über die Run­den zu kom­men. Sol­che Aspek­te wer­den von den Herr­schen­den sys­te­ma­tisch aus­ge­blen­det, weil sie damit ihrer sen­dungs­be­wußt vor­ge­tra­ge­nen Wer­te­welt selbst wider­spre­chen wür­den, und es muss ers­te Auf­ga­be einer Oppo­si­ti­on sein, das gekonnt zu thematisieren.

Das Over­ton-Fens­ter wird auf die­se Wei­se nicht ver­scho­ben, doch im bes­ten Fall lässt sich damit die mora­li­sche Glaub­wür­dig­keit lin­ker Eli­ten so weit erschüt­tern, daß ihre Gate­kee­per-Funk­ti­on beschä­digt wird. Denn die­se Gate­kee­per-Funk­ti­on steht auf mora­li­schen, also sym­bo­li­schen Füßen, sie ist nur wirk­sam auf­grund einer all­ge­mein aner­kann­ten Vor­bild­rol­le, einer all­ge­mein wahr­ge­nom­me­nen Glaubwürdigkeit. 

Wird durch zu gro­ße Wider­sprüch­lich­keit die Vor­bild­rol­le beschä­digt, wird das Over­ton-Fens­ter durch­läs­si­ger, zumin­dest in dem Bereich, in dem bereits jetzt eine Abwei­chung zwi­schen Eli­ten-Moral und Volks-Moral fest­stell­bar ist: wie Umfra­gen fest­ge­stellt haben, lehnt bereits heu­te die Mehr­heit der Deut­schen den Islam ab, sieht Deutsch­land als über­frem­det an, lehnt Gen­der-Spra­che ab und hat das Gefühl, zuneh­mend in der Öffent­lich­keit die eige­ne Mei­nung zu besag­ten Reiz­the­men nicht mehr offen sagen zu kön­nen. Ein gro­ßer Teil steht auch den Öffent­lich-Recht­li­chen, der EU, dem Euro, den Öko-Trans­for­ma­ti­ons­plä­nen skep­tisch gegen­über. Die­se Kluft zwi­schen dem Over­ton-Fens­ter der Eli­ten und dem Over­ton-Fens­ter des Vol­kes ist es eigent­lich, der im Rechts­po­pu­lis­mus als Kon­flikt aus­ge­tra­gen wird. Doch ohne die macht­vol­le Dis­kurs­kon­trol­le der Eli­ten könn­te der Rechts­po­pu­lis­mus bereits heu­te auch ohne eine Ver­schie­bung des Over­ton-Fens­ters, ledig­lich durch eine Demon­ta­ge der Eli­ten, Wah­len gewin­nen. (Wobei damit nur bereits eta­blier­te Posi­tio­nen, also grob der Bereich des Libe­ral­kon­ser­va­tis­mus, gemeint sind. Dezi­diert rech­te Posi­tio­nen ste­hen aktu­ell auch im Volk außerhalb.)

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Es scheint aller­dings, als hät­ten die den Dis­kurs beherr­schen­den Eli­ten längst ver­stan­den, daß sie gera­de im popu­lä­ren Kon­text, also bei­spiels­wei­se bei Talk­shows im Fern­se­hen, auf ratio­na­ler Ebe­ne nicht gewin­nen kön­nen, weil die Volks-Moral die Eli­ten-Poli­tik längst sehr kri­tisch betrach­tet. Und so wird der auf­zie­hen­de Kul­tur­kampf längst nicht mehr als bra­ves, haber­mas­sches Rin­gen um das bes­se­re Argu­ment aus­ge­tra­gen, viel­mehr nut­zen die Mei­nungs­füh­rer ihre Macht für eine Insze­nie­rung. Durch Aus­gren­zung, durch die Art der Anspra­che, durch Ton­fall, Gesichts­aus­druck, teils gar durch eigens aus­ge­wähl­tes Publi­kum, das wie bei Sit­coms dann poli­tisch zuver­läs­sig, lacht, klatscht und aus­buht, wird der AfD-Ver­tre­ter gezielt als Dum­mer August vor­ge­führt; als lächer­lich, pein­lich, als mensch­li­cher Dreck, der ledig­lich auf­grund sei­ner Dumm­heit gefähr­lich ist. 

Die AfD-Ver­tre­ter sind mit die­ser Stra­te­gie, die im Grun­de wie ein Nega­tiv-Wer­be­spot funk­tio­niert, also dar­auf abzielt, die ratio­na­le Ebe­ne mit Nega­tiv-Asso­zia­tio­nen zu ver­de­cken, zumeist völ­lig über­for­dert. Meist klam­mern sie sich an ihre Inhal­te, dar­an, daß man ihnen doch nur ein­mal kurz zuhö­ren müss­te, daß man sie doch nur miss­ver­ste­hen wür­de, etc. — wäh­rend sie mensch­lich die­ser Behand­lung nicht gewach­sen sind. Sie stot­tern, sie ver­has­peln und ver­kramp­fen sich, kau­ern wie geprü­gel­te Hun­de in ihrem Ses­sel, die bestell­te Men­ge johlt, Schnitt auf das amü­sier­te Lächeln des Mode­ra­tors, und so neh­men sie — als Ver­kör­pe­rung ihres Prin­zips ‑letzt­lich in die­sem öffent­li­chen Schau­kampf genau die Ver­lie­rer­rol­le ein, die man für sie geplant hat und mit der sich nie­mand iden­ti­fi­zie­ren mag, der noch eine Spur von Selbst­ach­tung besitzt. 

II: Per­sön­lich­keit

Es exis­tie­ren zwei Mög­lich­kei­ten, womit die über der Ratio­na­li­tät sich auf­span­nen­de Wer­te­struk­tur ange­spro­chen wer­den kann: durch die sym­bo­li­sche Fik­ti­on im Kunst­werk oder durch leben­de Men­schen, die als Per­sön­lich­kei­ten im Aus­druck ihres Lebens und Han­delns ihre Welt­an­schau­ung nicht nur vor­tra­gen, son­dern sub­stan­zi­ell ver­kör­pern. Auf die­se Wei­se kön­nen sie selbst zu Sym­bo­len, zu neu­en Leit­fi­gu­ren und Vor­bil­dern auf­stei­gen und damit die kul­tu­rel­le Matrix prä­gen. Wenn ein Jun­ge vor 100 Jah­ren Sol­dat, vor 50 Jah­ren Astro­naut und heu­te You­Tube-Influ­en­cer oder Rap­per wer­den will, so bedeu­tet das nicht, daß der Mensch sich an sich ver­än­dert hät­te, son­dern nur, daß die jewei­li­ge Epo­che ande­re Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren kennt. 

Das Vor­bild schafft sich sei­ne Nach­bil­der selbst, dar­in liegt sein Ver­mö­gen. So war bei der fran­zö­si­schen Prä­si­dent­schafts­wahl ein uner­war­te­tes Phä­no­men zu beob­ach­ten, denn dort tra­ten erst­mals zwei rech­te Kan­di­da­ten mit ver­schie­de­nem Pro­fil, aber ähn­li­chem Inhalt an: Mari­ne Le Pen posi­tio­nier­te sich als eher links-sozi­al aus­ge­rich­te­te Küm­me­rin, die sich gera­de für die ein­fa­chen Schich­ten, die Arbei­ter, die Gering­ver­die­ner ein­zu­set­zen ver­sprach. Nach der Wahl zeig­te sich, daß sie damit auch pri­mär von die­sen Schich­ten gewählt wor­den war.

Eric Zem­mour dage­gen, der auf eine lan­ge Kar­rie­re als Jour­na­list, Kolum­nist und Mode­ra­tor von Talk­shows zurück­blickt, ver­kör­per­te in der Art sei­nes Auf­tre­tens, in Stil und Ton ganz den Groß­stadt-Intel­lek­tu­el­len, der er tat­säch­lich ja auch ist. Und obwohl sei­ne Aus­sa­gen teil­wei­se deut­lich radi­ka­ler waren als die­je­ni­gen Le Pens, zeig­te sich in der Wahl­ana­ly­se, daß sei­ne Wäh­ler über­ra­schen­der­wei­se stark den urba­nen, aka­de­mi­schen Gut­ver­die­ner-Krei­sen ent­stamm­ten, denen man bis­lang kaum ein Rechts­wäh­ler-Poten­ti­al zuge­traut hatte. 

Zem­mour hat die­ses Poten­ti­al also in gewis­ser Wei­se selbst erzeugt. Durch sein Auf­tre­ten, durch das, was er durch sei­ne Bio­gra­phie und sei­nen Habi­tus ver­kör­pert, war es ihm mög­lich, rech­te Inhal­te auch gegen­über Wäh­lern, die Le Pen ver­ach­ten, respek­ta­bel, ein­leuch­tend, unter­stüt­zens­wert wir­ken zu las­sen. So hat er mit­tels sei­ner Per­sön­lich­keit erfolg­reich Meta­po­li­tik betrie­ben. “The medi­um is the mes­sa­ge” — die­ser bekann­te Satz von Mar­shall MacLu­han ist wahr. Der Mensch, der die Bot­schaft aus­spricht, ist Teil der Bot­schaft, und es ist gera­de die­ser prä-ratio­na­le, den Inhalt tran­szen­die­ren­de Teil, wor­in Meta­po­li­tik sich abspielt. Im Posi­ti­ven, wie bei Zem­mour, aber natür­lich auch im Nega­ti­ven, wie bei den Auf­trit­ten der AfD. 

III: Akti­vis­mus und Gegenkultur

Das Prin­zip cha­ris­ma­ti­scher Ver­kör­pe­rung fin­det natür­lich nicht nur durch Ein­zel­per­so­nen statt, son­dern auch durch Grup­pen und Bewe­gun­gen als Gan­zes. In die­sem Sinn hal­te ich die Iden­ti­tä­re Bewe­gung trotz mei­ner Kri­tik nicht für meta­po­li­tisch wir­kungs­los. Ledig­lich fin­det die Wir­kung auf ande­re Wei­se statt als das die Kon­zept­pa­pie­re der IB selbst es sich ausmalen. 

Es gibt einen Grund, wie­so die You­Tube-Kanä­le der NPD bis heu­te aktiv sein dür­fen, wäh­rend die Iden­ti­tä­re Bewe­gung in kon­zer­tier­ten Aktio­nen mit der­ar­ti­ger Rigi­di­tät deplat­for­med wur­de, daß allei­ne das Aus­spre­chen des Namens “Mar­tin Sell­ner” bei Face­book eine Sper­re nach sich zieht. Das dürf­ten weni­ger die Inhal­te sein — daß auf dem Mit­tel­meer NGOs die ille­ga­le Migra­ti­on unter­stüt­zen, ist all­ge­mein bekannt — son­dern viel­mehr der Auf­tritt selbst. Die Iden­ti­tä­ren und spe­zi­ell der stets sehr wie­ne­risch-ent­spann­te, erstaun­lich “nor­mal” wir­ken­de Mar­tin Sell­ner als dem Gesicht der Bewe­gung drück­ten eine ganz neue Ver­kör­pe­rung des Rech­ten aus. Jung, gebil­det, sty­lish, mehr stu­den­ten­haft als pro­le­ta­risch, iro­nisch, pop­kul­tu­rell, wit­zig, ambi­tio­niert und idea­lis­tisch — sie gaben ihrem The­ma eine ganz ande­re Ener­gie als die gewohn­ten Kli­schees von arbeits­lo­sen Skin­head-Schlä­gern und über den Zaun het­zen­den Nazi-Rent­nern. Rechts war noch immer böse, doch die Iden­ti­tä­re Bewe­gung eröff­ne­te die für die Eli­ten beängs­ti­gen­de Mög­lich­keit, daß rechts gleich­zei­tig den Jugend­kul­tur­schwenk hin zu “cool” voll­zie­hen könnte. 

So liegt der meta­po­li­ti­sche Ertrag einer “Defend Euro­pe” Akti­on letzt­lich viel­leicht weni­ger im Popu­la­ri­sie­ren der Bot­schaft, son­dern in den Bil­dern jun­ger, enga­gier­ter Män­ner, die mutig genug sind, sich mit einem Boot direkt dem Unrecht ent­ge­gen­zu­stel­len, für ihre Sache etwas zu ris­kie­ren. Also weni­ger im Popu­la­ri­sie­ren der Bot­schaft als im Popu­la­ri­sie­ren der Bewe­gung selbst, die damit einen neu­en, anzie­hen­den Lebens­ent­wurf, eine neue Hal­tung zum Leben in die Öffent­lich­keit trägt. 

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Das Medi­um ist die Bot­schaft. Das ist die Devi­se, unter der eine mög­li­che meta­po­li­ti­sche Wirk­sam­keit rech­ter Akti­vi­tät unter­sucht wer­den kann. In die­sem Sinn kann die Iden­ti­tä­re Bewe­gung Erfol­ge ver­bu­chen, in die­sem Sinn sind womög­lich auch Pro­jek­te wie “Hei­mat Defen­der” posi­tiv wirk­sam. Sie geben dem Betrach­ter Ein­blick in einer inter­es­san­te, rege, krea­ti­ve Sze­ne, ver­mit­teln etwas Leben­di­ges, Akti­ves, Inspi­rier­tes und zie­hen dadurch wie­der­um Men­schen an, die sich in ihrem eige­nen Wesen davon ange­spro­chen fühlen. 

All­ge­mein betrach­tet dürf­te es nicht falsch sein, sich die gegen­wär­ti­ge, kul­tu­rel­le Rea­li­tät als eine Viel­zahl von Vor­bild-Ange­bo­ten, von Lebens­ent­wür­fen, von mög­li­chen Wer­te­sys­te­men vor­zu­stel­len. Sie alle strah­len nach außen etwas aus, und zie­hen dadurch Men­schen an, die irgend­ei­ne Form von Reso­nanz mit dem eige­nen Dasein emp­fin­den. Wobei der Typ von Mensch, der jeweils ange­zo­gen wird, wie­der­um sein Eige­nes mit­bringt, sowohl was objek­ti­ve Fähig­kei­ten betrifft als auch den Cha­rak­ter. Wird er Teil der Bewe­gung, strahlt sein Cha­rak­ter wie­der­um nach außen aus, er reprä­sen­tiert die Bewe­gung und ent­schei­det dar­über, wie noch Unbe­tei­lig­te auf sie reagie­ren. Und so ent­wi­ckelt sich eine Bewe­gung, so wächst sie, ver­än­dert sich und ist schlu­ßend­lich erfolg­reich oder geht wie­der man­gels Anzie­hungs­kraft ein. 

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Die Art der Außen­wir­kung deter­mi­niert den Zulauf, damit die Dyna­mik und die Zukunft einer Bewe­gung. Wer eine Kul­tur­re­vo­lu­ti­on anstrebt, muss letzt­lich Men­schen anzie­hen, die imstan­de sind, eine neue Kul­tur künst­le­risch oder intel­lek­tu­ell zu schaf­fen oder in ihrer Per­sön­lich­keit aus­zu­drü­cken. Er muss die Fähigs­ten, die Ver­we­gens­ten, die Ener­gie­ge­la­dens­ten, er muss, kurz gesagt, die Eli­te von mor­gen in sei­nen Bann zie­hen kön­nen, ihnen eine Inspi­ra­ti­on ins Herz pflanzen. 

Die 68er Bewe­gung hat genau das ver­mocht, doch im Ver­gleich dazu bie­tet unse­re heu­ti­ge Rech­te ein depri­mie­ren­des, lee­res Bild — eine Rech­te als kul­tu­rel­le Bewe­gung exis­tiert im Prin­zip gar nicht. Wo wären die skan­da­lö­sen Roma­ne, Gedich­te, Thea­ter­stü­cke, Fil­me rech­ter Künst­ler, die von ver­we­ge­nen, bür­ger­li­chen Intel­lek­tu­el­len heim­lich ver­schlun­gen wür­den, weil sie so packend, inten­siv und neu sind? Wo wären jun­ge rech­te Musi­ker, die auf der Suche nach ihrem urei­ge­nen, rech­ten Aus­druck bestehen­de Kon­ven­tio­nen nie­der­reis­sen und einen völ­lig neu­en Ton in die Welt hin­ein­tra­gen? Wo wäre eine Bewe­gung an expe­ri­men­tel­len Sinn­su­chern, die aus der links­li­be­ra­len Tris­tesse aus­zu­bre­chen ver­su­chen? Natür­lich lässt sich vie­les nicht ein­fach spie­geln, wird eine rech­te Gegen­kul­tur sich viel­leicht immer anders, eigen und neu aus­drü­cken als der 68er-Kon­tra­hent. Doch, ganz all­ge­mein aus­ge­drückt: Wo wird gera­de sei­tens der Rech­ten ein Gedan­ke ins Leben geholt, als Prin­zip ver­wirk­licht, statt nur ver­bis­sen pro­kla­miert zu wer­den? Wo wird etwas geglaubt, gewusst, wo wird die neue, höhe­re Welt, die Visi­on des neu­en Men­schen gelebt, der doch im Zuge einer Kul­tur­re­vo­lu­ti­on erschaf­fen wer­den müss­te, um die Unzu­läng­lich­keit des Jetzt zu überwinden? 

Davon lässt sich im Moment wenig wahr­neh­men. Mög­li­cher­wei­se gab es der­einst ein­mal auch eine idea­lis­ti­sche, inspi­rier­te Rech­te, zumin­dest weist der Reich­tum des Schaf­fens in den ers­ten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts dar­auf hin. Doch all das mün­de­te bekannt­lich in tota­lem Grau­en und tota­ler Nie­der­la­ge. Das Wesen des Rech­ten, so scheint es, floh dar­auf­hin die Welt der Men­schen und ver­kroch sich in eine kal­te, licht­lo­se Höh­le tief unter den Bergen. 

Auch die 68er kul­ti­vier­ten die Pose des Außen­sei­ters, des Rebells, dabei war ihr Schaf­fen aber immer von einer ech­ten Visi­on, in Kunst und Den­ken auch von außer­or­dent­li­chem Talent geprägt. Es ist, als wuss­ten sie inner­lich zu jedem Zeit­punkt, daß sie die bestehen­de Epo­che über­win­den wür­den, daß in ihnen etwas Höhe­res, Über­le­ge­nes vor­geht. Als Ver­lie­rer und über­führ­tes Mons­ter der Geschich­te dage­gen ver­wan­del­te der Rech­te sich in ein Spuk­ge­spenst, eine chro­nisch defen­si­ve, schi­zo­ide Figur, hin­ein­ge­krümmt in die Unfä­hig­keit, den Ver­lauf der Geschich­te anzu­er­ken­nen. Gele­gent­lich, bei­spiels­wei­se bei der Recht­seu­pho­rie von 2015, greift er mit unge­len­ken, lüs­ter­nen Sche­ren­be­we­gun­gen aus, um etwas zu erbeu­ten und in sei­ne Gegen­welt-Höh­le hin­ab­zu­zie­hen. Doch inner­lich hat er längst resi­gniert, nicht die Flam­me von mor­gen, son­dern die Asche von ges­tern ist sein Begeh­ren, wäh­rend er der Welt von heu­te nur vor Wut zischend den Unter­gang wün­schen kann. 

Es fällt nicht leicht, den Rech­ten zu mögen. Wenn wir ihm ein See­len­tier zuwei­sen woll­ten, dann wäre es Gol­lum. In den lan­gen Jah­ren der Iso­la­ti­on und des Aus­ge­sto­ßen­seins hat er im Zuge sei­ner eige­nen Gegen­welt-Dyna­mik die Typo­lo­gie von jeman­dem aus­ge­bil­det, dem ein trau­ma­ti­sches Erleb­nis alles Schö­ne, jedes Ver­lan­gen nach Höhe­rem, jede Lie­be in der See­le abge­tö­tet hat, des­sen psy­chi­sche Kon­sti­tu­ti­on nur noch auf ein ver­stört-zer­stör­tes Über­le­ben hin aus­ge­rich­tet ist. Er wirkt zynisch, kalt, aggres­siv, in sei­nem gan­zen Ethos nur nied­rig und bru­tal. Kaum Edles, Idea­lis­ti­sches ist erkenn­bar, und trifft er dar­auf, begeg­net er ihm mit Hohn und Spott. Sein Dasein ist geprägt von post­pu­ber­tä­ren Pro­vo­ka­tio­nen und einer zähen, mis­an­thro­pi­schen Rach­sucht, von Ange­be­rei und auf­ge­bla­se­nem Grö­ßen­wahn, der peri­odisch dann auf­grund chro­ni­scher Erfolg­lo­sig­keit in Gejam­mer, Unter­gangs­fan­ta­sien und Selbst­mit­leid umschlägt. 

So nimmt es nicht wun­der, daß die rech­te Bewe­gung nie so recht zur Bewe­gung wird, son­dern als skur­ri­le Rand­er­schei­nung der Gesell­schaft vor sich hin düm­pelt. Auch Begrif­fe wie “Gegen­kul­tur” oder “Kul­tur­re­vo­lu­ti­on” wer­den ledig­lich instru­men­tell im Zuge macht­gie­ri­ger Plan­spie­le ver­wen­det, wäh­rend das Wesen von Kul­tur selbst als Ver­ede­lung und Erhö­hung des Daseins ihm nie ansich­tig wird. Der Rech­te will die Kul­tur nicht um der Kul­tur wil­len, son­dern um mit­tels ihrer zur poli­ti­schen Macht zu gelan­gen. Doch wie­so er sie eigent­lich woll­te — es scheint, das hat er in den Jahr­tau­sen­den unter dem Berg, wäh­rend er dem Trop­fen des kal­ten Was­sers lausch­te, längst vergessen. 

IV: Publi­zis­tik

Ganz am Ende nun das, wofür der vor­lie­gen­de Text ursprüng­lich ein­mal ledig­lich als knap­pes Vor­wort die­nen soll­te, näm­lich “The Tom Wol­fe Model” von Micha­el Anton, einem US-ame­ri­ka­ni­schen Autor, der unter ande­rem für Donald Trump gear­bei­tet hat. Er stellt sich dort die Fra­ge: wo blei­ben die Geschich­ten? “It is hard­ly an ori­gi­nal insight to say that sto­ries move the world to an infi­ni­te­ly grea­ter extent than poli­cy papers. Yet the Right spends infi­ni­te­ly more on the lat­ter than on the for­mer. The Left, which under­stands power and how to use it far bet­ter than we do, does not make this mistake.” Die Lin­ke beherrscht meis­ter­haft, wor­an die Kon­ser­va­ti­ven seit Jahr­zehn­ten schei­tern: ihre The­men zu erzäh­len, als Geschich­ten emo­tio­nal und mensch­lich auf­zu­be­rei­ten und damit kul­tu­rell zu ver­brei­ten. Wahr­schein­lich haben bei­spiels­wei­se die Fil­me von Pedro Almo­do­var in ihrem Humor, der Leben­dig­keit der Cha­rak­te­re und nicht zuletzt ihrer künst­le­ri­schen Per­fek­ti­on mehr zur Akzep­tanz von Homo­se­xua­li­tät bege­tra­gen als sämt­li­che Eman­zi­pa­ti­ons­pam­phle­te und Schwulendemos. 

Geschich­ten schrei­ben statt Theo­rie­ar­ti­kel, Per­so­nen schil­dern statt poli­ti­scher Posi­tio­nen. Micha­el Anton nimmt sich Tom Wol­fe als Vor­bild, des­sen von Rea­lis­mus und aus­gie­bi­ger Recher­che gepräg­tem Stil die Gren­zen von Sach­buch und Lite­ra­tur ver­schwim­men lässt. Sei­ne ers­ten Bücher sind Repor­ta­ge­bän­de — über Hip­pies und die 60er Jah­re. Er sucht die Men­schen vor Ort auf, spricht mit ihnen, beob­ach­tet sie, lernt sie ken­nen, lernt sie ver­ste­hen und macht dar­aus Por­traits, wor­in sich im Indi­vi­du­el­len das Typi­sche einer gan­zen Epo­che widerspiegelt.

Dann wech­selt er von der Jour­na­lis­tik zum Roman und schreibt sein Meis­ter­werk: “Fege­feu­er der Eitel­kei­ten”, eine ver­nich­ten­de Sati­re über die New Yor­ker Gesell­schaft der 80er. Die Cha­rak­te­re sind erfun­den wie auch die Hand­lung, doch beru­hen auf so detail­lier­ter Real-Recher­che, sind so unver­kenn­bar der New Yor­ker Rea­li­tät ent­nom­men, daß am Ende nicht nur ein Roman steht, son­dern ein Sit­ten­ge­mäl­de, das eine gan­ze Epo­che, ein gan­zes Milieu scho­nungs­los entlarvt. 

Micha­el Anton schil­dert, wie er selbst Wol­fes Ansatz nut­zen woll­te, um den gro­ßen anti-links­pro­gres­si­ven Col­le­ge Roman zu ver­fas­sen: “My intent, I can tell you, was to blow the lid off poli­ti­cal cor­rect­ness, ram­pant anti-Ame­ri­ca­nism, the col­lap­se of the huma­nities, the Astro­turffed pro­test cul­tu­re, the racial grie­van­ce racket, the cor­rupt admi­nis­tra­ti­on, the hor­ri­ble rela­ti­ons bet­ween the sexes — in other words, all the things so dis­astrous­ly wrong with the modern uni­ver­si­ty. (To which I inten­ded to add sub­plots on the frat sce­ne, the foot­ball team, and the con­ser­va­ti­ve sub­cul­tu­re.) In other words, I wan­ted to tell as a sto­ry — with a set­ting, cha­rac­ters, action, dia­lo­gue and plot — the same nar­ra­ti­ve pre­sen­ted in fine books such as ‘Illi­be­ral Edu­ca­ti­on’ and ‘Ten­u­red Radi­cals’. But much more engros­sin­gly, as Wol­fe argued, than non­fic­tion is typi­cal­ly capa­ble of.”

Und damit sind wir zurück beim Kern die­ses Tex­tes, der Dif­fe­renz zwi­schen einer ratio­na­lis­tisch-poli­ti­schen Ebe­ne, auf der ein Milieu ein­fach nur im Sti­le eine Sach­bu­ches oder mit­tels Ideo­lo­gie­kri­tik geschil­dert wird, und der künst­le­risch-meta­po­li­ti­schen Ebe­ne, die das­sel­be The­ma mit­tels Per­so­nen, Hand­lun­gen, spe­zi­fi­sche Situa­tio­nen kon­kre­ti­siert und auf die­se Wei­se einen weit­aus nach­drück­li­che­ren Ein­druck hin­ter­lässt. Einen Ein­druck, der nicht ledig­lich zum Den­ken anregt, son­dern die gan­zen Welt verwandelt. 

Doch jetzt end­lich zum Text: The Tom Wol­fe Model

Posted on 8. Juli 20228. Juli 2022

6 thoughts on “Kritik der Metapolitik”

  1. tasplwq sagt:
    8. Juli 2022 um 21:58 Uhr

    Eine scharf­sin­ni­ge und fai­re Kri­tik. Vie­les über­zeugt. Eins möch­te ich aber einwenden:

    Obwohl es Kon­sens zu sein scheint, ist das Rech­te im Bereich des Kul­tur­schaf­fens kei­nes­wegs unter­re­prä­sen­tiert. Fast schon im Gegenteil:

    Ein­fluß­rei­che Wer­ke wie Herr der Rin­ge, Star Wars oder Har­ry Pot­ter waren nicht nur impli­zit von star­ken rech­ten Moti­ven durchzogen.

    Jeder halb­wegs gute Hol­ly­wood­film han­del­te über Hel­den­tum, Kampf, Ehre usw. Von Meis­ter­wer­ken wie Fight Club mit genera­tio­nen­prä­gen­der Wir­kung gar nicht erst zu reden.

    Und auch in der Hoch­li­te­ra­tur beset­zen wir mit Houl­le­becq die zeit­ge­nös­si­sche Spitze.

    Jedes Com­pu­ter­spiel lebt vom Ant­ago­nis­mus ver­schie­de­ner Parteien.

    Also, da war schon eini­ges vor­han­den. Nur: gebracht hat es ja letzt­lich nichts. Schein­bar hat Gram­sci da doch nicht den hei­li­gen Gral gefun­den. Das bestä­tigt sich ja auch dadurch, dass die 68er letzt­lich ihre spe­zi­fi­schen Zie­le auch nicht unbe­dingt ver­wirk­li­chen konnten.

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  2. Pingback: Von der Kulturrevolution zum Kulturkampf - Klaus Kunze
  3. Schlemiel sagt:
    12. Juli 2022 um 20:42 Uhr

    Ehr­lich gesagt fin­de ich zur IB in dem Text kaum etwas, was nicht irgend­wann / irgend­wo / irgend­wie bereits von Sell­ner & Co (selbst-)kritisch ein­ge­räumt wor­den wäre. Natür­lich läßt sich eine “kul­tu­rel­le Bewe­gung” nicht “künst­lich”, schon gar nicht gegen den Zeit­geist ent­fa­chen. Die Grün­de für den Man­gel an “kul­tu­rel­ler Spann­kraft” zu erläu­tern, wür­de bedeu­ten, dem Defä­tis­mus Vor­schub zu leisten. 

    Pro­ble­ma­ti­scher als die von eini­gen beklag­te, im Kern aber zutref­fen­de Kri­tik an der IB fin­de ich die Ver­klä­rung der “Kul­tur­re­vo­lu­ti­on” der 68er/Linken, die nun wirk­lich mehr Aus­druck herr­schen­den Zeit­geists war als “meta­po­li­tisch” wirk­sa­me Initi­ie­rung einer “Gegen­kul­tur”. Was da “gesiegt” hat, bzw. zuge­las­sen wur­de (und teils sogar gezüch­tet), hat sich durch­ge­setzt, weil und inso­fern sich dadurch viel­ver­spre­chen­de neue Geschäfts- und Gesell­schafts­mo­del­le ergaben. 

    Daß sich mit den “Grü­nen” auch “Staat machen” ließ — und zwar in dem Maße, in dem die­se bereit waren, ihre “fun­da­men­tal­op­po­si­tio­nel­len” Über­zeu­gun­gen zum Teu­fel zu jagen, zeich­ne­te sich erst in den 1990er Jah­ren ab — und wur­de prompt benutzt, um (innen­po­li­tisch) alten Staat und (außen­po­li­tisch) US-Inter­es­sen durch­zu­set­zen. Bei gleich­zei­ti­ger Mini­mie­rung oppo­si­tio­nel­len Wider­stands, der unter einer “kon­ser­va­ti­ven” Regie­rung mit der­sel­ben Agen­da ungleich höher aus­ge­fal­len wäre. Ein altes Rezept: den Gege­ner zum Mit­wis­ser oder gar Mit­tä­ter machen. 

    Wenn das nun als “Vor­bild” für die AfD oder gar die “neue Rech­te” her­hal­ten soll, erschie­ne mir das “Ich-hab’s‑gewagt”-Scheitern der IB ver­gleichs­wei­se noch aus­ge­spro­chen ehren­voll. Denn immer­hin spie­gelt sich in ihm wenigs­tens dem Anspruch nach, daß der Begriff “neue Rech­te” ja nicht etwa nur eine “his­to­ri­sche” oder rein “chro­no­lo­gi­sche” Bedeu­tung hat. Auch kei­ne “rein tak­ti­sche”, wie man­cher Rech­te im Ver­bund mit der Anti­fa zu wis­sen meint.

    Zu den Leu­ten, die dem “alten Staat” in eini­gen Jah­ren mit der AfD und Ayn Rand im Tor­nis­ter die Kas­ta­ni­en aus dem Feu­er holen wol­len, gehö­re ich nicht. Wobei ich es übri­gens für neckisch, aber abwe­gig hal­te, aus­ge­rech­net Ayn Rand als Bei­spiel für erfolg­rei­che Meta­po­li­tik anzu­füh­ren. Als wäre ihre “urame­ri­ka­ni­sche” Idee vom Kapi­ta­lis­mus in den 1950er Jah­ren irgend­wie “gegen­kul­tu­rell” gewe­sen oder hät­te erst mit lan­gem Atem als die Mut­ter­milch pro­fit­ori­en­tier­ter Den­kungs­art “durch­ge­setzt” wer­den müs­sen in einer Umge­bung, die so etwas wie eine Kran­ken­ver­si­che­rung heu­te noch als sozia­lis­ti­sches Teu­fels­zeug strikt ablehnt. Jeden­falls sofern man nicht zu denen gehört, die dahin­ter ein gutes Geschäft zu wit­tern vermögen…

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  4. Adam Rhau sagt:
    17. Juli 2022 um 10:34 Uhr

    Das beschäf­tig­te mich schon seit mei­ner Jugend, war­um seit der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on die Rech­ten eigent­lich immer verlieren.

    Die Ant­wort fand ich in der tra­di­tio­nel­len Zyklen­leh­re, wie sie on R. Gué­non und von J. Evo­la dar­ge­stellt wur­de ( ers­te­rer neu­er­dings, letz­te­rer schon immer in Deutsch erhält­lich). Am Ende des Zyklus’ ( Kali-Yuga) MÜSSEN die min­der­wer­tigs­ten Poten­tia­li­tä­ten, die im Zyklus ent­hal­ten sind, in Akti­on tre­ten. An sich nichts Neu­es, schon bei Hesi­od und bei Dani­el nach­zu­le­sen, aber durch das Fort­schritts­den­ken ab dem 18. Jhdt. in Ver­ges­sen­heit geraten.

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  5. Vinzenz sagt:
    18. Juli 2022 um 19:17 Uhr

    Star Wars ist ziem­lich links: es geht dar­um das Uni­ver­sum unter der “Macht” zu einen! Und damit ist es sogar mehr als okkult!

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